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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman
Autoren: Heinrich Steinfest
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diese Leute. Oder besser gesagt, es war ihm gleichgültig, was damals
geschehen war, dieser Spezialkrieg, diese Familienfehde. Aber selbstverständlich
wollte er keinen Namen für sein Geschäft wählen, welcher in irgendeiner Weise
eine Verbindung zum Schmutz der Politik herstellte. Es ging ihm ja genau um das
Gegenteil von Schmutz. Es ging ihm um absolute Reinheit, die nur in einer
gewissen Weltferne ihren Ausdruck finden konnte. Denn das Stricken und Häkeln
und sogar noch das Löcherstopfen und das Knöpfeannähen waren nun mal weltferne
Tätigkeiten, heutzutage, da die wenigsten Kinder noch selbstgestrickte Pullover
trugen und man eher ein neues Hemd kaufte, als einen Knopf anzunähen. Nur für
Babys, ja für Babys konnte man noch stricken. Aber gerade Babys waren ziemlich
weltferne Wesen.
    Es mußte also ein Name her, der das Weltferne verkörperte. Was aber
ist denn weltfern? Außer Babys. Nun, Inseln sind weltfern. Und noch weltferner
sind die äußeren Planeten. Über das Sonnensystem hinauszugehen wäre wiederum
Unsinn gewesen. Selbst die Weltferne hat ihre Grenzen. Daran wollte auch Lorenz
sich halten.
    Weil er nun zu denen gehörte, die noch mit neun Planeten aufgewachsen
waren und nicht wie heute mit acht und er aus Überzeugung die Knauserigkeit von
Leuten ignorierte, die einfach einen Planeten durchstrichen, als hätten sie
dazu irgendeine Befugnis, darum also dachte Lorenz daran, sich des neunten und
fernsten Planeten im Sonnensystem zu bedienen. Wobei es ihn überhaupt nicht
störte, daß dessen Name auf den Totengott, den Herrscher der Unterwelt verwies.
Denn welche Weltferne wäre perfekter als der Tod?
    Man kann zudem sagen, daß Stricken und Nähen eine Verbindung des
Weltfernen mit einem zutiefst menschlichen Harmoniebedürfnis darstellen. Und da
sich Lorenz gerne einen handarbeitenden Totengott vorstellte, ergab sich der
Name für sein zukünftiges Geschäft wie von selbst: Plutos
Liebe .
    Bei alldem wäre freilich zu erwähnen, daß Lorenz Mohn nie in seinem
Leben eine Strick- oder Nähnadel oder sonst ein Handarbeitsgerät in Händen
gehalten hatte. Aber was soll’s? Der Gott der Toten war ja wahrscheinlich auch
noch nie tot gewesen.

2  |  Wie
aus einem »y« ein »i« wird
    Es soll hier in keiner Weise behauptet werden, daß die
Pornoindustrie und die Unterwelt notwendigerweise miteinander verbandelt sind.
Dennoch war es so, daß Lorenz im Laufe der Jahre Leute kennengelernt hatte, die
sich zwar allesamt als Geschäftsmänner und Geschäftsfrauen bezeichneten, dieses
auch waren, doch deren Geschäftspraktiken man nur schwer mit einem bürgerlichen
Gesetzbuch in Einklang bringen konnte, selbst wenn deren Anwälte genau das
hinbekamen.* [* Der Paläontologe James Farlow hat sich
dankenswerterweise die Mühe gemacht – inspiriert von einer nicht minder
dankenswerten Szene aus »Jurassic Park« –, zu berechnen, wie viele Anwälte ein
erwachsener Tyrannosaurus rex jährlich verspeisen müßte, um zu überleben. Bei
einem Warmblüter kam er auf die Zahl 292, bei einem Kaltblüter waren es 77 Anwälte.
Man darf also sagen, daß die Anstrengungen, Saurier zum Leben zu erwecken, mit
noch größerer Intensität betrieben werden sollten. Und es wichtig wäre, darauf
zu achten, daß bei der ganzen Sache schlußendlich warmblütige Tyrannosaurier
herauskommen.]Man könnte freilich sagen, daß derartiges für so gut wie jede
geschäftliche Aktivität galt, ja daß Saubermänner in die Drogenhilfe und
Altenpflege gehörten und nicht in eine der Auslese, dem Rivalen- und
Revierkampf verpflichtete freie Marktwirtschaft. Trotzdem war es noch immer ein
Unterschied, ob jemand seinen Kredit bei einer Bank aufnahm oder etwa bei einer
Frau, die sich Claire Montbard nannte und die wegen ihrer Methoden der
Geldeintreibung eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Die Berühmtheit ergab
sich daraus, daß niemand genau wußte, wie Frau Montbard sich ihre Schuldner
gefügig machte. Aber es funktionierte.
    Es schien dabei keineswegs so zu sein, daß Claire Montbard den
säumigen Kreditnehmern die Zähne ausschlagen ließ oder damit drohte, jemanden
aus deren Familie entführen zu lassen. Man konnte nur feststellen, daß
Personen, die sich von ihr Geld ausgeborgt hatten – und es waren nicht wenige
in dieser
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