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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman
Autoren: Heinrich Steinfest
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besaß, um damit eine Brotschneidemaschine
zu bedienen. Zumindest eine Scheibe lang.
    Â»Ich würde gerne mit Frau Montbard sprechen. Mein Name ist Lorenz
Mohn.«
    Â»Sie sind dieser Schwanzlutscher, was?«
    Â»Nein, im Gegenteil…« Aber
wozu sollte er sich einem Mann erklären, dessen subalterne Aufgabe es
offensichtlich war, das Telefon zu bewachen. »Können Sie mich verbinden oder
nicht?«
    Â»Ich schaue mal…«, sagte
der Mann.
    Dann war eine Weile Ruhe. So eine rauschende Ruhe, wie man sich
vorstellt, daß es im Weltraum tönt. Wenn das Nichts murmelt.
    Lorenz dachte schon, er wäre auf ewig auf ein Abstellgleis verbannt
worden, als sich endlich eine Frau meldete. Sie schien Unhöflichkeit nicht
nötig zu haben. Ihre Stimme besaß das Timbre von Wasser. Wasser klingt auf eine
geschmeidige Weise selbstsicher und auf eine erhabene Weise rücksichtsvoll.
Frau Montbard bat um Entschuldigung für die lange Wartezeit. Dann fragte sie:
»Sind Sie der Lorenz Mohn vom Film?«
    Das war sehr nett von ihr, es so gesagt zu
haben. Lorenz antwortete: »Bis gestern. Ich habe damit aufgehört.«
    Â»Das ist wahrscheinlich vernünftig. Ich glaube auch nicht, daß der
Pornographie die Zukunft gehört.«
    Â»Exakt darum belästige ich Sie«, sagte Lorenz. »Einer Zukunft wegen,
in der die Pornographie keine Chance hat.«
    Â»Na, ich hoffe, Sie wollen die Zukunft nicht retten. Da müßten Sie
nämlich in Hollywood anrufen.«
    Â»Es geht allein um meine persönliche Zukunft.«
    Â»Brauchen Sie Geld?«
    Â»Ich würde Ihnen gerne erst einmal erzählen, was ich im Sinn habe«,
sagte Lorenz.
    Â»Mein Gott, sind Sie denn unter die Erfinder gegangen?«
    Â»Es ist ganz undramatisch«, versicherte Lorenz.
    Â»Warum wenden Sie sich gerade an mich, Herr Mohn?« fragte die Frau
mit der Wasserstimme, die natürlich nichts von einem Wasserfall hatte. Eher
reines Wasser in einem sauberen Glas. Beinahe bewegungslos.
    Â»Man hat mir dazu geraten«, log Lorenz.
    Â»Ach!?« sagte Montbard, wie man sagt: Die Flugangst ist auch nicht
mehr das, was sie einmal war. Dann schwieg sie. Das Schweigen dehnte sich zur
kleinen Pause. Aber es war sicher nicht so, daß Claire Montbard überlegte. Sie
gehörte nicht zu denen, die nachdenken mußten. Bei ihr war das scheinbare
Nachdenken bloß eine Geste an die Welt, welche Nachdenklichkeit für eine Stärke
hielt, einen Prozeß des Erkennens. Dabei war es fraglos so, daß man etwas
sofort erkannte oder überhaupt nicht. Denn, bitte, wie lange mußte jemand auf
einen Tisch schauen, um die daraufstehende Schale zu entdecken? Wenn der
Betreffende wiederum blind war, konnte er schauen, bis er tot umfiel. – Claire
Montbards Entscheidung war also längst gefällt. Sie wartete noch ein wenig,
dann sagte sie: »Sagen wir Montag, fünfzehn Uhr. In meinem Haus. Das ist Ihnen
doch recht?«
    Â»Wunderbar!« meinte Lorenz.
    Â»Hat Sie denn eigentlich gar keiner vor mir gewarnt?« schickte
Montbard eine Frage hinterher, wie einen kleinen Wind, der Kerzen ausbläst und
Seemänner tötet.
    Lorenz antwortete: »Wenn Sie erlauben, ich glaube nicht, daß Sie der
Teufel sind.«
    Sie lachte. Nettes Lachen. Was konnte einem ein solches Lachen
sagen? Daß die Welt gar nicht so böse war, wie alle meinten? Daß die Welt
vielleicht sogar noch viel schlimmer war?
    Lorenz jedenfalls – der seit ein paar Stunden gerne in Strickwaren
dachte – erschien dieses Lachen als ein leichtes, weißes, gehäkeltes Häubchen,
das allen Gram zudeckte. Unter dem Häubchen mochte der Gram weiterkochen und
weiterbrodeln, er hatte indes keine Chance. Das Häubchen war massiver als jeder
Kern.
    Â»Ich werde pünktlich sein«, sagte Lorenz. Er war voller Zuversicht.
    Der Montag kam. Lorenz verbrachte die erste Tageshälfte im
Bett. Dann stand er auf, machte sich hübsch, schlüpfte in einen leichten Anzug
und verließ das Haus. Nach den vergangenen heißen Tagen war es ausgesprochen
kühl geworden. Ein einzelner Tropfen benetzte Lorenz an der Schulter, bevor er
in seinen Wagen stieg. Er fühlte sich getroffen. So in der Giftpfeilart.
    Lorenz kannte die Adresse der Frau Montbard, wenngleich er noch nie
in ihrem Haus gewesen war. Eine Jugendstilvilla, die deutlich die Spuren eines
Jahrhundertalters trug. Natürlich war im Laufe der Zeit die eine
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