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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten
Autoren: Clemens Meyer
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Haut aufplatzt. War es hier, war es dort? Ich renne zwischen den seit Jahren leeren Bahnhofsgebäuden hin und her, immer mal wieder im Scheinwerferlicht des Taxis. Und dann plötzlich ein langgezogenes, lauter werdendes Hupen. Ich renne auf die Gleise zu. Meine Trommelfelle reißen. Das ist nicht mehr –

Draußen vor der Tür
    I
    Ich gehe mit dem Hund raus auf den Hof. Kurz nach zwei Uhr nachts, und die Nacht ist sehr warm, der Sommer ist noch mal zurückgekommen in diesem August, nachdem es lange kühl und regnerisch gewesen ist. Der wärmste Tag des Jahres war in dieser Woche. Tat meinem Hund nicht gut, die Wärme. Tat auch mir nicht gut, dass die Nächte sich nicht abkühlten, wenn ich schrieb. Ich nehme mir immer vor, am Tag zu schreiben, aber dann fange ich doch erst an, wenn alles still wird. Ich wohne im Erdgeschoss,
Hochparterre
, ein Wort, das kaum noch benutzt wird. Als Kind wusste ich lange nicht, was das heißt, wenn ich es in Büchern las. Dachte an ein Geheimnis. Eine seltsame Zwischenebene in den Häusern.
    Mein Hund tut sich schwer, die paar Stufen nach unten zu kommen. Langsam setzt er eine Vorderpfote auf die erste Stufe, greift mit der anderen sehr zögernd zu weit nach unten und findet die Stufe nicht, dass ich ihn festhalten muss; oft stürzt er, wenn ich nicht aufpasse, und rutscht, sich manchmal überschlagend dabei, auf die Fliesen
vor der Hoftür. Die Fliesen sind glatt, und seine Hinterläufe rutschen weg, es reißt sie förmlich auseinander, als wollte er einen Spagat machen. Der Körper hält kaum noch zusammen. Ich stehe auf der Türschwelle und sehe, wie er ein paar Meter auf den Hof geht und auf die Stelle des Steinbodens pinkelt, auf die er immer pinkelt. Die Steine sind fast weiß dort inzwischen. Ich trage ihn die Treppe hoch, er hat deutlich Gewicht verloren in den letzten Wochen. Seine Pisse riecht stark nach Schwefel, bis ins Treppenhaus. Die Wohnungstür ist zu. Ich kann mich nicht erinnern, sie zugemacht zu haben. Ich suche in meinen Hosentaschen nach meinem Schlüsselbund. Nichts. Wie komme ich jetzt in die Wohnung? Meine Mutter hat einen Ersatzschlüssel, ich könnte rüber zur Telefonzelle gehen und sie anrufen. Aber sie ist in Afrika, noch bis Ende des Monats, glaube ich.
    Meine Wohnungstür ist eine Flügeltür, wenn ich den rechten Flügel, an dem die Klinke und das Schloss sitzen, nach innen drücke, so weit es geht, komme ich mit der Hand durch den Spalt an die beiden Sperrvorrichtungen, die den anderen Flügel mit Hilfe zweier Metallstifte geschlossen halten, der untere senkt sich in den Fußboden, der obere befindet sich in einer schmalen Öffnung im Türrahmen. Wenn es mir gelingt, an die Hebel zu kommen, die die Stifte bewegen, kann ich die Flügel nach innen drücken, das Schnappschloss gibt dann nach. Ein komplizierter Vorgang. Zumal ich einen Korken in die obere Sperrvorrichtung integriert habe, um das Herunterdrücken des dortigen Hebels und das damit verbundene Aufdrücken der Tür zu verhindern. Es reicht nämlich, diesen oberen Stift aus seiner Verankerung im Holz des Rahmens zu ziehen, der untere Stift springt dann von alleine heraus,
wenn man seinen Körper heftig genug gegen die beiden Flügel wirft, am besten mittig. Es ist schwierig, Vorgänge technischer oder mechanischer Art exakt zu beschreiben.
    Machen wir es ganz simpel an einem Beispiel deutlich: Also, ich hab da schon was vorbereitet,
Mach’s mit, Mach’s nach, Mach’s besser, Meyers Training für angewandte Mechanik
. Wir haben hier zwei große Bretter. Ein Brett bzw.
mein
Brett ist im Prinzip nichts anderes als ein dreidimensionales Rechteck. Also da stell ich’s mal hin, hochkant, dann sieht’s nämlich schon mal aus wie eine Tür bzw. wie
ein
Flügel meiner Tür. Vorne eine große Fläche, auf der Rückseite eine große Fläche. Und dann haben wir zwei lange Innenkanten zwischen diesen beiden Flächen und zwei kurze, oben und unten. Wenn wir jetzt unsere beiden rechteckigen Bretter hochkant nebeneinanderstellen, so dass sie sich in der Mitte berühren, treffen die langen schmalen Innenseiten direkt aufeinander, ein winziger Spalt ist nur noch sichtbar zwischen diesen beiden Flügeln. Und dort fährt, vom rechten Flügel in den linken Flügel, die Metallzunge des Türschlosses, wenn man schließt. Und genau in dieser langen schmalen Fläche des dreidimensionalen Rechtecks sitzen die Sperrvorrichtungen. Und jetzt zieh ich die Bretter wieder auseinander,
das Heimwerkern ist des
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