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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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– ob ihr vielleicht schon länger eine Verwahrlosung der Bewohner aufgefallen sei? – habe man sie, die Polizei, zu einem in seinem Rollstuhl auf verdächtige Weise verstorbenen Behinderten gerufen.
    Die Mutter des etwa Fünfzigjährigen, das wisse sie zufällig, sagte erbebend Frau Fendel, sei »wohl so eine Person«. Sie habe, so heiße es, für ihren armen Sohn gesorgt. Dessen offizieller Betreuer sei etwa vierzig und der Bruder des Toten. Schreckliche Schreie seien dagegen, so ihr Eindruck, einmal in der Nacht aus einer ganz anderen Richtung dieses sonst sehr ordentlichen, »gesetzten« Hauses gekommen.
    Im Verlaufe des Montags erfuhr sie aus ihrem Tageblatt, man habe die beiden verhaftet, da sie offenbar den Behinderten, den eigenen Sohn und Bruder, gezielt oder aus Gleichgültigkeit, Auge in Auge mit dem Sterbenden, hatten verhungern lassen. Diese Nachricht erzeugte in Frau Fendel den heftigen Wunsch nach Tränen und Kakao, während »Martha ohne Makel«, die ebenfalls,allerdings woanders, die Nachricht las, zu sich selber sagte: »Bestien der Großstadt.« Sie wunderte sich, (und wiederholte ihr Urteil einige Male des Wohlklangs wegen, versuchte es auch mit »Grauen der Großstadt«, verwarf es aber), daß in der Welt wiederum genau soviel passiert war, wie in ihre Zeitung reinpaßte, bis sie die von Schluchzern begleitete telefonische Herzausschüttung erreichte, es handele sich bei der in Polizeigewahrsam genommenen Rabenmutter um die einzige Schwester jener Elisabeth Schneider, die Marthas Kochtopf so mißverständlich poliert hatte vor einem Vierteljahrhundert.
    Als Frau Fendel an diesem Abend ihren Kakao trank und ein bißchen weinte zu ihrem Trost, dachte sie an ihren verunglückten Sohn und wie die Welt danach voller Abwesenheit gewesen war, aber der leblose Körper in Wahrheit nichts von ihrem Schmerz auf sich versammeln konnte, nur toter Stoff, was sie sich aber bisher noch nie eingestanden hatte. In diesem Moment erst traute sie sich. Da klingelte es an der Tür. Um diese Zeit? Wen mochte man da noch reinlassen?
    Das mußte, genau im richtigen Moment, lieber Besuch sein, Herr Dillburg, natürlich, auf dem Heimweg von einem Krankengang mit seiner Diabetes und den schlimmen Füßen, sicher, um noch ein verbotenes Pflaumenschnäpschen in Ehren mit ihr zu trinken!
    Einmal mußte er sich bei ihr wegen des Kuchens eine Spritze geben. Als sie wenig später selbst ins Bad ging, roch es dort unverkennbar nach Insulin. Mit einem Ruck griff es nach ihrem Herzen, damals, es erinnerte sie so plötzlich an ihren lange verstorbenen Mann!
    »Herzlich willkommen, Hochwürden!« sagte sie also voreilig schon beim Öffnen der Tür und versuchte in ihrer Freude, ähnlich wie manchmal Iris Steinert, die sie nicht kannte, ein übermütiges Knickschen. Es war allerdings die eisige Messerschleiferin, die mit großem Schritt Frau Fendels hilflose Diele betrat,während ihr zweiter Fuß von innen die Tür zustieß. Kein Haß in den Augen, dachte die zurückweichende Frau Fendel noch in ihrer Not und begegnete dem Blick ihrer Großmutter, wenn sie das Kaninchen zum Schlachten packte.
    Erst ein paar Tage darauf las Martha, die seit einigen Monaten ihre Wohnung mit einer Doppelkette versehen hatte, in der Zeitung davon, nachdem sie eine Weile kichernd ihre fünf verschiedenfarbigen Tabletten auf der Millefiori-Tischdecke zusammengesucht hatte. Diesmal sagte sie – und legte dabei, wie von Gewichten gezogen, den Kopf abwägend einmal nach rechts, einmal nach links – mehrfach zwei Wörter: »Zufall? Fügung?« Dann folgte der Satz: »Gibt es das denn, zwei Verbrechen kurz hintereinander im selben Haus?«
Gewimmel
    Wie es eigentlich bei ihm, dem Flachländer, zu dieser gewaltigen Anhänglichkeit oder sogar Leidenschaft den Bergen gegenüber gekommen sei, fragte Elsa, um ihre Müdigkeit zu überspielen, zum Abschluß eines langen Tages, etwas weniger frisch als zu Beginn, aber immer noch einigermaßen schön und fast so schneeweiß wie am Morgen, ihren letzten Patienten. Es war Herbert Wind, dem sie den Rücken massierte.
    Er sei peu à peu durch ein Buch über Alpenblumen aus den Fünfzigern eingestiegen, ja geradezu eingestiegen in die Bergwelt, ein Buch mit kolorierten Holzschnitten der botanischen Individuen, die ein Mann namens Josef Weisz über zehn Jahre lang alle nach gründlichem eigenen Augenschein auf vielen Wanderungen durch den gesamten Alpenbogen angefertigt habe. Aconitum Napellus! Gentiana Punctata! Waren auch
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