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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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die Wildorchideen Kohlröschen und Wintergrün dabeigewesen? Ein gewisser Markgraf, Friedhelm oder Friedrich Markgraf, habe ergänzend die wissenschaftlichen Erläuterungen zum Vorkommen und den klimatischen wie mineralogischen Bedingungender jeweiligen, in puncto Standort oft sehr wählerischen alpinen Flora geschrieben. So habe es allmählich bei ihm angefangen mit dem Interesse, das jetzt eher den Felsformationen und Beleuchtungen dort oben, besonders abends und morgens, gelte.
    Elsa hatte nur noch Kraft für ein halbes Zuhören und achtete nicht mal darauf, wie weit ihre Bluse sich über den letzten Handgriffen am Patienten geöffnet hatte. Sie forschte nicht weiter nach, und Herbert Wind war, mit gelockerten Muskeln, schon dabei, sich von Elsas großzügigem Anblick zu trennen und seine Hose anzuziehen, als er, in Gedanken versunken, hinzufügte, das Buch habe er damals hier in der Nähe antiquarisch gekauft, reiner Zufall, auf der Suche nach anderen Sachen, und stets, wenn er das kleine Werk zur Hand nehme, frage er sich kurz, wer wohl dieser Clemens Dillburg sei, der, als ehemaliger Eigentümer, seinen Namen in das für ihn, Wind, dann so wichtig gewordene Buch gesetzt habe.
    »Dillburg? Clemens?« Elsa wachte noch einmal auf. »Pfarrer in der Marienkirche. Dort könnten Sie ihn predigen hören, wenn auch nicht über Alpenblumen, nehme ich an.« Sie lächelte schwach, mehr schaffte sie heute nicht.
    Die predigten also noch wie eh und je! Unglaublich. Beinahe willenlos ließ Herbert sich eines Sonntags in die Kirche wehen. Dort sah er einen grauhaarigen, leicht gebeugten Priester, der, als Wind eintraf, fast mitten unter den Leuten stehend, mit angenehmer Stimme in der überraschend gut gefüllten Kirche sprach. Ein Geistlicher! Der Beruf existierte also wahrhaftig noch. Jemand, der, was ihm, Herbert Wind, nie recht gelungen war, wohl über ein sogenanntes Weltbild verfügte, zumindest berufsspezifisch zu verfügen hatte.
    Schon für den nächsten Tag war ein neuer Termin bei Elsa verabredet. Wind, begierig, von seinem Erlebnis zu erzählen, begann, noch während er auf demselben Gymnastikball hüpfte, auf dem es gelegentlich Dillburg tat, mit seinem Bericht.
    In der Nacht gab Elsa, was sie davon behalten hatte, an ihren Freund weiter, der satt und schläfrig, nach Arbeit, Essen, Liebe, neben ihr lag. Dillburgs Predigt, deren Anfang Wind obendrein versäumt hatte, kann deshalb nicht im Originalton, vielleicht nicht einmal im Originalsinn, sondern nur in Bruchstücken wiedergegeben werden, womöglich mit sinnverdrehenden Ausschmückungen und auch Mißverständnissen.
    Still raunende Post über mehrere Stationen eben.
    Wie der zunächst von so fremder Umgebung etwas benommene Wind habe sie, Elsa, abgelenkt durch das Gehüpfe ihres Patienten, einige Zeit gebraucht, um zu erkennen, daß es sich im Zentrum der Rede nicht um phantastische Visionen des Seelsorgers, sondern, unpassend zur Jahreszeit, um ein altes Gemälde offenbar weihnachtlichen Inhalts handelte.
    Wind habe von einem nächtlichen Abgrund, einem schwarzen Luftwirbel gesprochen, in dem ein Gedränge erglühender und verglimmender Wesen herrschte. Es sei ein Rudel, eine ganze Meute lächelnder und unglücklicher Köpfe gewesen, die herumirrend, ertrinkend, auftauchend, absinkend und in Verzückung schwebend aus dem dunklen Sumpf des Hintergrunds gequollen seien, Dämonen mit Engelsmienen, mißmutig, entrückt, düster, ganz in ihre verschiedenen Glücks- und Verzweiflungszustände eingesponnen, gefiedert und in Flammenkreise wie in brennende Ratsherrenkragen eingefaßt. Immer mehr seien es geworden, die händeringend und rudernd aus der Schwärze hervorgetrudelt seien, geschwemmt, geschleudert von einer mächtigen, unsichtbaren Energie, auch mit wollüstig zurückgeworfenem Halbleib. Je länger man hingesehen habe, desto üppiger hätten sich die schweifenden Scharen vermehrt. Der gesamte dämmrige Raum habe sich als eine sehr fruchtbare Finsternis erwiesen, angefüllt wie ein Meer mit feinstem Plankton, mit leuchtenden Partikelchen, die auf dem Sprung waren, sich zu einem Antlitz und Teilkörper zu entfalten, vielleicht auch rückfällig zuwerden kopfüber hinein ins sternschnuppenhafte Verschwinden, sich aus der mondbleichen schwachen Anwesenheit zu ergeben in die Zersetzung und doch wieder per Luftsprung in eine Gestalt zurückzukehren, und keineswegs verlorengegangen. Ersterbende und eben erst geborene Wesenszellen, juckende Lebensspänchen, ins
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