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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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für eine Reise nach Australien zu lesen unter dem Lockruf »Uralten Legenden lauschen«, für 1074 Euro, Sitzplätze nicht garantiert. Eine Person, genannt Dominik Grafotto, Bruder eines der führenden Ökonomen der BRD (Dominik: »Dieser Kerl, der mit seinem ewigen ›Bund, Länder, Städte und Gemeinden‹, mit dem öden ›Wirtschaft, Politik und Gesellschaft‹!«), drückte am geöffneten Fenster eine eben angerauchte Zigarette aus.
    Im Gegensatz zum Bruder Paul, der den Familiennamen Knochendöppel tapfer beibehalten hatte, verdient Dominik sein Geld auf dunkleren Pfaden, darunter, jedoch eine Weile nur, durch die indirekte Beihilfe zur illegalen Bereitstellung militärischer Dienstleistungen. Dabei hat er einmal mit zwei Ramschläden begonnen. Über dem einen stand »Matratzen Outlet«, über dem anderen »Wasserbett City«. Nichts Riesiges, aber immerhin wurden hier erste Sporen von ihm verdient. Von früher Jugend an war sein Ziel – sei’s mit Grazie, sei’s mit Brutalität –, das Metier »Mann von Welt« zu erlernen. Obschon Sohn eines Schlossers von altem Schrot und Korn, schaffte er es, mit 40 Jahren wie selbstverständlich einen Hut aus allerfeinstem, handgeflochtenem Stroh zu besitzen, für den er annähernd 25   000 Euro berappen mußte, und, ebenso nonchalant, im berühmten Pariser Hotel »Plaza Athénée« von 1911, jetzt mit nagelneuem Spa von Dior, in dem einst Jacky Kennedy, Grace Kelly und Liz Taylor wohnten, hin und wieder zu nächtigen, ebenso, warum nicht, wie Johnny Depp. Hin und wieder zeigt er sich auch, mit jenem Hut auf dem Kopf, bei Pferderennen und wettet dann, ohne je die Kontrolle über sich zu verlieren.
    Sein Vater, der brave, ehemalige Schlossermeister, unterhält sich manchmal vor dem Einschlafen mit seiner Frau voller Stolz über das gewaltige Gehalt ihres Sohnes Paul und über die vermutete »unvorstellbare« Höhe des Einkommens Dominiks, dessen verdächtige Seitenpfade ihnen unbekannt sind, da Dominik schönere Namen dafür erfunden hat. »Da können wir beruhigt die Augen schließen«, sagen die Eheleute zueinander. Jedoch liegt der alte Knochendöppel danach immer eine Weile wach, insgeheim von einer großen Empörung erfüllt, die er selbst nicht ganz begreift.
    Grafotto stand an dem geöffneten Jugendstilfenster, hielt in der einen Hand die Zeitung mit den Namen der hochbetagten Verstorbenen. Die Rechte drückte die Zigarette aus, elegant, wie gewohnt nach zwei Zügen. Tief Atem holend, als wäre eine Bilanz fällig, sagte Grafotto gerade drei Wörter. Sie lauteten: 1. »so«, 2. »oder«, 3. »so«. Da schlug der Wind mit lautem Knall das Fenster zu. Die stark bejahrt Verschiedenen entglitten seinen Fingern, die Finger schnitten sich blutig an den kostbaren Splittern. Niemand hat je erfahren, wie, beziehungsweise ob es nach diesem »So oder so« weitergehen sollte. Handelte es sich um einen Auftakt oder um Grafottos endgültiges Lebensresümee? Um Resignation oder Entschluß? Graf Knochendöppel selbst vergaß es ja angesichts der teuren Scherben sofort.
    »So oder so!«?
    Oder: »So? Oder so …?«
Diesmal schlägt was anderes zu
    Frau Martha Bauer, ja natürlich, Martha mit der sporadischen Schultersteife und der Freundin Fränzi aus Osnabrück, lebte, ähnlich wie Frau Fendel, Frau Fendel mit dem tödlich verunglückten Zwillingssohn, jene, der rothaarigen Elsa persönlich bekannte Martha mit dem Dampfkochtopf also, lebte in dem Gefühl, den allzu harten Dingen der Wirklichkeit aus Altersgründen und feingereifter Damenhaftigkeit wohlverdient entrückt zu sein. Und wie Frau Fendel schätzte auch Martha Bauer inzwischen die Befriedigung, immer dieselben Sätze zu sagen, dieselben Handlungen auszuführen, dieselben Wege zu gehen Tag für Tag. Was man sich auf so strengen Notenlinien alles denken konnte!
    An einem Freitagnachmittag sprach jedoch bei Frau Fendel die Polizei vor. Sie hatte Himbeermarmelade einkochen wollen. Vielleicht käme ja Herr Dillburg vorbei, der zwar wegen der Diabetes Süßes meiden mußte, aber den Duft so sehr liebte.
    »Ist mein zweiter Sohn nun auch verunglückt?« stammelte sie im ersten Entsetzen angesichts der Uniformen, machte auch zusätzlich den Versuch, die Hände hochzuheben, um nicht erschossen zu werden. Die jungen Polizisten, Mann und Frau, beschwichtigten sie, geschlechtsspezifisch aufgeteilt, mit amtlichen Brummgeräuschen. Es gehe hier lediglich um eine Befragung wegen einer der Nachbarsfamilien. Aus der Wohnung über ihr
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