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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod
Autoren: Terry Pratchett
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bemerken, der wie erstarrt stand. Der Blick – fast – leerer Augenhöhlen richtete sich auf ihn, und Mort hielt eine Erklärung für angebracht.
    »Mein Vater«, sagte er und versuchte, möglichst unauffällig vor den Reglosen zu treten. »Entschuldige bitte, Herr… Bist du der Tod?«
    IN DER TAT. DU HAST EINE AUSGEZEICHNETE BEOBACHTUNGSGABE, JUNGE.
    Mort schluckte.
    »Mein Vater ist ein gutherziger Mann«, sagte er, dachte einige Sekunden lang nach und fügte hinzu: »Meistens jedenfalls. Wenn's dir nichts ausmacht… Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du ihn verschonen könntest. Nun, äh, ich weiß nicht, was du mit ihm angestellt hast, aber vielleicht bist du so nett, damit aufzuhören. Womit ich dir keineswegs zu nahe treten möchte, Herr.«
    Tod wich einen Schritt zurück und neigte den Kopf zur Seite.
    ICH HABE FÜR UNS BEIDE NUR DIE ZEIT ANGEHALTEN, sagte er. DEIN VATER WIRD NICHTS SEHEN ODER HÖREN, DAS IHN VERWIRRT. NEIN, JUNGE, ICH BIN DEINETWEGEN GEKOMMEN.
    »Meinetwegen?«
    DU MÖCHTEST DOCH EINE ANSTELLUNG, ODER?
    Allmählich ging Mort ein Licht auf. »Du suchst einen Lehrling?« fragte er.
    Die Augenhöhlen wandten sich ihm zu, und die aktinischen Punkte darin funkelten.
    SELBSTVERSTÄNDLICH.
    Tod winkte mit einer knöchernen Hand. Purpurnes Licht glühte, gefolgt von einer Art sichtbarem plopp, und Lezek zuckte zusammen. Die Zeit erwachte aus ihrem anästhetischen Schlaf, woraufhin die Uhr-Zwerge unter dem Zifferblatt erneut ihre Hämmer schwangen. Sie hatten sich nicht verzählt: Nach dem zwölften Gong kehrten sie gehorsam zurück, und hinter ihnen schlossen sich die kleinen Klappen.
    Lezek blinzelte.
    »Seltsam«, sagte er. »Eben habe ich dich gar nicht gesehen. Muß mit meinen Gedanken ganz woanders gewesen sein.«
    ICH HABE DEINEM SOHN ANGEBOTEN, IN MEINE DIENSTE ZU TRETEN, verkündete Tod. ICH NEHME AN, DU BIST DAMIT EINVERSTANDEN, ODER?
    »Äh, worin besteht deine Tätigkeit?« fragte Lezek. Er wirkte überhaupt nicht überrascht, sprach so mit dem Skelett, als sei das die normalste Sache der Welt.
    ICH GELEITE SEELEN INS JENSEITS, erwiderte Tod.
    »Oh«, machte Lezek. »Natürlich. Entschuldige! Eine dumme Frage. Dein Aussehen – ich meine, deine Kleidung ist ein deutlicher Hinweis. Nun, eine notwendige Arbeit, da bin ich ganz sicher. Wahrscheinlich mangelt es dir nicht an Aufträgen. Schon lange im Geschäft?«
    SEIT EINER GANZEN WEILE, JA, bestätigte Tod.
    »Gut. Ausgezeichnet. Tja, bisher habe ich nicht daran gedacht, daß ein solcher Job für Mort in Frage kommen könnte, aber es ist zweifellos ein sehr ehrenvoller Beruf, der Zuverlässigkeit und Ernst erfordert. Genau richtig für meinen Sohn. Äh, wie lautet dein Name?«
    TOD.
    »Paps …«, begann Mort.
    »Klingt nicht vertraut für meine Ohren«, sagte Lezek. »Kommst du weit herum?«
    MEIN TÄTIGKEITSBEREICH ERSTRECKT SICH VON DEN DUNKELSTEN TIEFEN DES MEERES BIS ZU JENEN HÖHEN, DIE NICHT EINMAL EIN ADLER ERREICHEN KANN, erwiderte Tod.
    »Ich schätze, das ist weit genug.« Lezek nickte. »Nun, ich…«
    »Paps…«, drängte Mort und zupfte am Ärmel seines Vaters.
    Tod legte dem Jungen die Hand auf die Schulter.
    WAS ER HÖRT UND SIEHT, UNTERSCHEIDET SICH VON DEINEN WAHRNEHMUNGEN, erklärte er. SEI UNBESORGT; IHM WIRD NICHTS GESCHEHEN. ICH MÖCHTE IHM NUR MEINEN ANBLICK ERSPAREN. ODER GLAUBST DU, ER SÄHE MICH GERN SO, WIE ICH WIRKLICH BIN – IN FLEISCH UND BLUT, SOZUSAGEN?
    »Aber du bist der Tod«, platzte es aus Mort heraus. »Du streifst umher und tötest!«
    ICH TÖTE? fragte Tod beleidigt. DA IRRST DU DICH. DIE LEUTE KOMMEN VON GANZ ALLEIN UMS LEBEN. ICH KÜMMERE MICH NUR UM IHRE SEELEN, DAS IST ALLES. ES WÄRE SCHLIESSLICH EINE ZIEMLICH VERRÜCKTE WELT, WENN MENSCHEN DAS ZEITLICHE SEGNEN, OHNE ZU STERBEN, MEINST DU NICHT AUCH?
    »Nun…«, sagte Mort skeptisch.
    Er hatte noch nie das Wort ›fasziniert‹ gehört – es gehörte nicht zum üblichen Vokabular der Familie. Dennoch beschrieb es seine Reaktion ziemlich genau: Irgendein Teil seines bisher verkannten Ichs wurde neugierig und entwickelt ein Interesse, das mit unwillkürlichem Zögern rang und schon nach wenigen Sekunden triumphierte. Wenn er diese einmalige Chance verstreichen ließ, so glaubte er, würde er das für den Rest seines Lebens bedauern. Er dachte an die Demütigungen des vergangenen Abends, an den langen Weg nach Hause…
    »Äh, ich muß doch nicht etwa sterben, um den Job zu bekommen, oder?« fragte er.
    DEIN TOD IST KEINESWEGS OBLIGATORISCH,
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