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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod
Autoren: Terry Pratchett
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vorsichtig. »Oder die Diebeskunst. Sie gilt durchaus als ehrenhaft. Glaube ich jedenfalls. Ich meine, es muß Leute geben, die stehlen. Sonst wäre das Leben viel zu langweilig.«
    Mort starrte zu Boden. Er war ein pflichtbewußter Sohn – wenn er sich an die Tugend des Gehorsams erinnerte, was nicht allzu häufig geschah. Wenn Vater und Schicksal von ihm erwarteten, eine Ausbildung zu beginnen, so wollte er wenigstens ein guter Lehrling sein. Das Zimmerhandwerk erschien ihm allerdings wenig geeignet – Holz zeichnete sich durch eine gewisse Sturheit aus und neigte dazu, ein beharrliches Eigenleben zu entwickeln. Außerdem splitterte es leicht. Und was die Kunst des Klauens, Stehlens und Entwendens betraf: Die meisten Bewohner der Spitzhornberge waren viel zu arm, um sich einen offiziellen Dieb zu leisten.
    »Na schön«, sagte Mort schließlich. »Ich versuch's. Aber was sollen wir tun, wenn mich niemand will?«
    Lezek kratzte sich am Kopf.
    »Keine Ahnung«, entgegnete er. »Ich schlage vor, wir warten bis zum Ende des Marktes. Bis heute abend. Besser noch: bis um Mitternacht.«
     
    Und Mitternacht rückte rasch näher.
    Rauhreif bildete eine dünne glitzernde Schicht auf dem Kopfsteinpflaster. Oben im dekorativen Uhrturm öffneten sich kleine Klappen, und winzige Gestalten aus verwittertem Holz und rostigem Eisen krochen hervor, als Ketten rasselten, Zahnräder knirschten und der Gong ertönte.
    Noch fünfzehn Minuten. Mort fröstelte, und tief in ihm brannte ein Feuer aus Scham und verzweifelter Hartnäckigkeit, heißer als die Flammen der Hölle. Er blies in die hohlen Hände, um sich irgendwie zu beschäftigen, blickte zum kalten Himmel hinauf und versuchte die Blicke der wenigen Nachzügler zu übersehen.
    Die meisten Budenbesitzer hatten bereits ihre Sachen gepackt und den Platz verlassen. Selbst der dicke Mann mit den warmen Pasteten pries seine Waren nicht mehr an und biß herzhaft in einen mit Hackfleisch gefüllten Teig – ungeachtet der Gefahren, die er damit für seine Gesundheit heraufbeschwor.
    Die letzten jungen Männer waren schon vor Stunden mit den erhofften Lehrverträgen in der Tasche gegangen. Zurück blieb Mort, ein glubschäugiger Bursche mit krummem Rücken und laufender Nase. Der einzige konzessionierte Bettler in Schafrücken glaubte; eine gewisse natürliche Begabung in ihm zu erkennen. Dem Jungen, der links von Mort gewartet hatte, stand eine Ausbildung zum Spielzeugmacher bevor, und die anderen wurden bald zu Steinmetzen, Hufschmieden, Meuchelmördern, Krämern, Böttchern, Betrügern und Pflügern. In einigen Minuten begann das neue Jahr, und hundert Lehrlinge freuten sich auf ihren neuen Beruf, konnten zufrieden in die Zukunft sehen.
    Mort fragte sich niedergeschlagen, warum ihm niemand ein Angebot unterbreitete. Den ganzen Abend über hatte er versucht, möglichst würdevoll zu wirken. Er sah interessierten Ausbildungsherrn fest in die Augen, um sie mit seinem exzellenten Wesen zu beeindrucken und auf außerordentlich positive Charaktereigenschaften hinzuweisen. Doch aus irgendeinem Grund erzielte er damit nicht die angestrebte Wirkung.
    »Möchtest du eine warme Fleischpastete?« fragte sein Vater.
    »Nein.«
    »Der Mann verkauft sie recht billig.«
    »Nein, danke.«
    »Oh.«
    Lezek zögerte.
    »Ich könnte ihn fragen, ob er einen Lehrling braucht«, schlug er vor. »Ein seriöses Gewerbe, die Gastronomie.«
    »Ich glaube, er benötigt keine Hilfe«, sagte Mort.
    »Ja, wahrscheinlich hast du recht«, antwortete Lezek. »Eine Art Ein-Mann-Betrieb, nehme ich an. Außerdem geht er gerade heim. Was hältst du davon, wenn wir uns meine Pastete teilen?«
    »Ich habe überhaupt keinen Hunger, Paps.«
    »Das Fleisch enthält nur wenige Knorpel. Fast gar keine.«
    »Nein. Trotzdem vielen Dank.«
    »Oh.« Lezek seufzte, stampfte mit den Füßen, um die Kälte zu vertreiben, und pfiff leise vor sich hin. Er wollte irgend etwas sagen, seinem Sohn Mut zusprechen, ihm einen Rat geben, darauf hinweisen, das Leben sei ein dauerndes Auf und Ab. Er wollte den Arm um Morts Schultern legen, ihm die Probleme des Erwachsenwerdens erläutern, ihm mit einigen knappen Worten erklären, in der Welt gehe es meistens recht komisch zu, und man dürfe – bildlich gesprochen – nie zu stolz sein, eine wenigstens einigermaßen genießbare Fleischpastete abzulehnen.
    Statt dessen schwieg er und dachte voller Grauen daran, was aus seinem Bauernhof werden sollte, wenn Mort den Anbau reannueller Pflanzen lernen
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