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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod
Autoren: Terry Pratchett
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mußte.
    Inzwischen waren sie allein. Auf den Kopfsteinen wuchs der Rauhreif, der letzte dieses Jahres.
    Hoch oben im Turm machte ein Zahnrad laut und deutlich Knirsch und löste einen Hebel aus, der wiederum einen Sperrbolzen beiseite schob und ein Bleigewicht herabfallen ließ. Ein geradezu beängstigend klingendes Rasseln erklang, gefolgt von einem metallenen Schnaufen und Keuchen. Die kleinen Klappen öffneten sich, und erneut krochen die Uhr-Zwerge unter dem großen Zifferblatt hervor. Mit steifer mechanischer Fröhlichkeit, so als litten sie an robotischer Arthritis, schwangen sie ihre Hämmer, und das laute Hallen des Gongs kündigte ein neues Jahr an.
    »Tja, das war's«, sagte Lezek hoffnungsvoll. Sie mußten nun eine Unterkunft finden: Niemand, der noch alle seine Sinne beisammen hatte, kraxelte während der Neujahrsnacht in den Spitzhornbergen herum. Irgendein warmer Stall…
    »Erst beim letzten Schlag ist es Mitternacht«, stellte Mort sachlich fest.
    Lezek hob die Schultern und beugte sich dem Starrsinn seines Sohnes.
    »Meinetwegen«, brummte er. »Warten wir noch einige Sekunden lang.«
    Unmittelbar im Anschluß an diese Worte hörte er das Klippklapp von Hufen, und es hallte weitaus lauter über den Platz, als eine normale Akustik gestatten sollte. Eigentlich wurde der Ausdruck Klippklapp dem unheilvollen Pochen überhaupt nicht gerecht. Gewöhnliches Klippklapp deutete auf ein lebhaftes kleines Pony hin, das vielleicht einen Strohhut trug – mit zwei Löchern für die Ohren. Dieses Klippklapp hingegen ließ keinen Zweifel daran, daß niemand mit irgendwelchen Strohhüten rechnen durfte.
    Das Pferd erreichte den Platz von der mittwärtigen Straße her. Dampf wallte von den schweißfeuchten weißen Flanken, und Funken stoben vom Kopfsteinpflaster unter den Hufen. Es bewegte sich mit der anmutigen stolzen Eleganz eines edlen Rosses, und es trug keinen Strohhut.
    Die hochgewachsene Gestalt auf seinem Rücken war in einen dunklen Umhang gehüllt. Als das Pferd die Mitte des Platzes erreicht hatte, stieg der Reiter langsam ab und tastete nach einem Gegenstand hinter dem Sattel. Schließlich fand er – oder sie – einen Futtersack, streifte den Riemen über die Ohren des Rosses und klopfte ihm freundlich auf den Hals.
    Die Luft gewann plötzlich eine schmierige, ölige Qualität, und die Schatten vor Mort wurden dichter, verwandelten sich in Regenbogen, deren Farben auf Dunkelblau und Purpur beschränkt blieben. Der Reiter schritt mit wehendem Mantel auf ihn zu, und seine – ihre? – Füße klickten und klackten leise auf dem Pflaster. Abgesehen davon ertönte nicht das geringste Geräusch. Eine sonderbare gespenstische Stille glitt heran, als die Akustik floh und sich irgendwo verbarg.
    Dünnes glattes Eis ruinierte den höchst dramatischen Effekt.
    VERDAMMTER MIST!
    Es schien keine Stimme im eigentlichen Sinn zu sein. Mit den Worten war soweit alles in Ordnung – aber sie erklangen in Morts Kopf, ohne sich mit einem Umweg durch die Ohren aufzuhalten.
    Er lief los, um der ausgerutschten Gestalt auf die Beine zu helfen, ergriff eine Hand, die nur aus blanken Knochen bestand, so glatt und vergilbt wie eine alte Billardkugel. Die Kapuze fiel zurück, und darunter kam ein nackter Schädel zum Vorschein. Der Blick leerer Augenhöhlen richtete sich auf den Jungen.
    Nun, sie waren nicht völlig leer. Sie ähnelten Fenstern, die einen Ausblick in die Weiten des Alls gestatteten, und tief in ihnen glühten zwei kleine blaue Sterne.
    Mort dachte daran, daß er entsetzt sein sollte, und deshalb überraschte ihn die unerklärliche Ruhe in seinem Innern. Vor ihm saß ein Skelett, rieb sich die Knie und brummte leise – aber es handelte sich um ein lebendes Skelett, das zwar beeindruckend wirkte, ihm jedoch (so seltsam das auch sein mochte) keine Angst einjagte.
    DANKE, JUNGE, sagte der Totenkopf. WIE HEISST DU?
    »Äh«, erwiderte Mort, »Mortimer – Herr. Man nennt mich Mort.«
    WELCH INTERESSANTER ZUFALL! sprach der Knochenmann. MORT. DER NAME HAT EINEN ANGEMESSENEN GRABESKLANG. BITTE HILF MIR AUF!
    Die Gestalt stemmte sich in die Höhe und strich mit einer fahrigen Geste den Umhang glatt. Mort sah einen breiten Gürtel an der Taille des Skeletts, und daran hing ein Schwert mit weißem Heft.
    »Ich hoffe, du bist nicht verletzt, Herr«, sagte er höflich.
    Der Totenschädel grinste – in dieser Hinsicht blieb ihm kaum eine Wahl.
    MACH DIR KEINE SORGEN UM MICH. Erst jetzt schien der Knochenmann Lezek zu
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