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Gestohlene Wahrheit

Gestohlene Wahrheit

Titel: Gestohlene Wahrheit
Autoren: Julie Ann Walker
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Brust bebte aufgrund ihres unermesslichen Schmerzes, doch ihr kam kein Laut mehr über die pfirsichfarbenen Lippen, nachdem sie die ersten abgehackten Schluchzer rasch unterdrückt hatte, als ob sie nicht so viele ihrer Emotionen nach außen dringen lassen könnte. Als ob sie noch immer vorsichtig, stark, widerstandsfähig sein müsste.
    Doch das musste sie nicht. Nicht bei ihm. Aber er konnte ihr das einfach nicht sagen, weil es ihm selbst schmerzhaft die Kehle zuschnürte.
    Er hätte das gnadenlose Schicksal am liebsten lauthals verflucht. Er wollte toben, schreien und um sich schlagen. Doch was hätte es genützt? Absolut gar nichts. Also schluckte er den harten Klumpen aus Trauer und Wut hinunter und fragte: »Soll ich dich irgendwo hinbringen?«
    Sie wandte sich zu ihm um und sah ihn mit einem gequälten und verlorenen Blick in ihren großen Augen an. »Ja, okay.« Er nickte. »Ich wüsste da einen Ort.«
    Nach zwanzig Minuten, in denen er durch die Hölle ging, während er ihr dabei zusehen musste, wie sie litt, mit sich rang und versuchte, nicht völlig die Kontrolle zu verlieren, was ihm ebenso wehgetan hätte wie ihr, lenkte er den Jeep auf eine schmale Küstenstraße und durch hohes, braunes Gras, bis er schließlich vor einem Holzzaun stehen blieb, der von all den Jahren, die er der Sonne und der salzigen Brise ausgesetzt war, ganz grau und brüchig aussah.
    Es kam ihm in den Sinn, dass der Zaun und er sich durchaus ähnlich waren. Sie waren beide durch das, was sie tagtäglich durchmachten, derart in Mitleidenschaft gezogen worden, dass sie schließlich mitgenommen und vernarbt aussahen und ihrem eigenen Ich Jahre zuvor kaum noch ähnelten, aber trotz allem gaben sie nicht auf.
    Na ja. Er hätte alles dafür gegeben, derjenige zu sein, von dem nichts als eine Urne voller feiner grauer Asche übrig geblieben war. Grigg war von ihnen beiden der bessere Mann gewesen. Doch das Schicksal war nicht nur gnadenlos, sondern auch dumm. Das war die einzige Erklärung, die ihm dafür einfallen wollte, dass er es aus dieser stinkenden, sandigen Hütte rausgeschafft hatte und Grigg nicht.
    Er sah den Blick aus Griggs Augen in diesem letzten, finalen Moment wieder vor sich und wäre beinahe zusammengebrochen. Diese vertrauten braunen Augen … Darin hatte so viel Schmerz und Resignation gestanden, und dennoch schienen sie ihn anzuflehen …
    Nein. Er schüttelte diese schaurige Erinnerung ab und blickte nach vorn.
    Hinter dem schiefen, geisterhaften Zaun erstreckten sich sanfte, lange Dünen, die schließlich in einen mit Muscheln bedeckten Strand übergingen. Dahinter war der gewaltige graue Atlantik zu erkennen, darüber ein klarer blauer Himmel, und der heftige Wind wirbelte Schaumkronen auf die Wellen, die auf die Küste zurollten.
    Es kam ihm falsch vor, dass es an einem solchen Tag so sonnig und so schön sein konnte. Hatte die Welt nicht gerade einen ihrer besten Männer verloren? Wieso weinte ihr geschmolzenes Herz da nicht?
    Er schaltete den Motor aus und nahm die vertrauten Gerüche der Meeresluft und des von der Sonne erhitzten Sandes in sich auf. Doch diese Düfte konnten ihn nicht wie sonst beruhigen. An diesem Tag war das einfach nicht möglich. Vielleicht würde er nie wieder so empfinden. Zögerlich suchte er nach den richtigen Worten.
    Ja, genau. Als gäbe es in dieser gottverdammten Situation
irgendwelche
Worte, die richtig waren.
    »Ich werde dir jetzt nicht mit Plattitüden kommen, Ali«, brachte er schließlich heraus. »Er war der beste Mann, den ich je gekannt habe. Ich habe ihn wie einen Bruder geliebt.«
    Das war ja wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Der Verlust von Grigg war für ihn etwa so, als hätte er einen Arm verloren. Es hatte Nate völlig aus dem Gleichgewicht geworfen. Mehr als einmal hatte er sich in der vergangenen Woche zu Grigg umgedreht, um ihm etwas zu erzählen, doch dann fiel ihm immer wieder erst viel zu spät ein, dass sein bester Freund nicht mehr da war.
    Er vermutete, dass er an etwas Ähnlichem litt wie Menschen, die Phantomschmerzen spürten, nur, dass er keine Gliedmaßen, sondern einen Freund verloren hatte.
    »Dann sag mir als ein Bruder, was passiert ist … was wirklich passiert ist«, flehte sie ihn an.
    Sie war schon immer viel zu klug gewesen, als gut für sie war.
    »Er ist bei einem Unfall umgekommen. Er hat den alten Benzintank eines unserer Motorräder gereinigt, als das Benzin an seinem Lappen durch einen Funken entzündet wurde, dann fiel er in
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