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Gestohlene Wahrheit

Gestohlene Wahrheit

Titel: Gestohlene Wahrheit
Autoren: Julie Ann Walker
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geschützte Welt aus den Fugen geraten war.
    Das hier waren gleichzeitig seine süßeste Fantasie und sein schlimmster Albtraum. Ali, die süße, liebliche Ali. Sie war hier. Jetzt. Sie drückte sich an seine Brust.
    Widerstrebend hob er die Arme, die vor Müdigkeit und Trauer zentnerschwer zu sein schienen. Wenn Grigg ihn jetzt sehen könnte, hätte er seine geliebte 1911-A1 genommen und ihm eine 45er direkt in seinen jämmerlichen Arsch gejagt. Aber diesen ganzen Schlamassel gäbe es ja auch gar nicht, wenn Grigg noch hier sein könnte. Niemand außer ihm konnte Ali jetzt trösten. Also zog er sie an sich – Himmel, roch ihr Haar gut – und besänftigte sie, während sie vor Trauer immer wieder schluchzte und zitterte, in heftigen, endlosen Wellen, die jenen glichen, die hinter ihnen an die Küste prallten.
    Und dann küsste sie ihn …

1
    Drei Monate später …
    Sie hatte erneut dieses komische Gefühl.
    Dieses seltsame, unheimliche Prickeln im Nacken, bei dem sie ihre Schultern reflexartig in Abwehrhaltung zusammenzog.
    Sie wurde beobachtet.
    Ali Morgan ging schneller. Ihre schwarzen Lackballerinas klapperten auf dem heißen Asphalt, während sie einen schnellen Blick über die Straße warf.
    Nichts.
    Nicht, dass das ungewöhnlich wäre. Sie sah ihn nur selten, den Mann, den sie langsam als ihren schwer fassbaren Schatten ansah. Aber irgendwie spürte sie, dass er da war … irgendwo …
    Sie sah über die Schulter und musterte rasch die Gesichter der Passanten hinter sich. Nein. Dort war er auch nicht. Zwar war es ihr bisher nie möglich gewesen, ihn gründlich in Augenschein zu nehmen, aber die kurzen Blicke, die sie auf ihren flüchtigen Schatten erhascht hatte, entsprachen weder dem Mann mittleren Alters mit dem in braunes Papier gewickelten Baguette noch dem Typen im schwarz-gelben Rugbytrikot, der …
    Himmel, wer hatte den denn heute Morgen so vor die Tür gehen lassen?
Er sah aus wie eine riesige Hummel, und die Tatsache, dass er gerade ins Schaufenster eines Blumenladens sah, ließ sie ihre aufkeimende Angst für einen Augenblick vergessen. Sie unterdrückte ein Kichern. Dann stellten sich jedoch die feinen Härchen in ihrem Nacken wieder auf und warnten sie erneut, sodass ihr das Lachen in der Kehle erstarb, als hätte sie einen Klumpen Trockeneis geschluckt.
    Unsinn. Vielleicht wurde sie ja wirklich verrückt.
    In den letzten drei Monaten hatte sie das schon einige Male vermutet, denn Jacksonville war ja nicht gerade riesig, und so war es doch möglich, häufiger dieselben Gesichter zu sehen.
    »Aber das ist doch gar nicht das wahre Problem, oder?«, murmelte sie leise.
    Sie hatte das Gesicht ihres flüchtigen Schattens eigentlich nie richtig gesehen. Wenn ihr das gelungen wäre, wenn sie die Gelegenheit bekommen hätte, dem Mann tatsächlich in die Augen zu sehen, vielleicht würde sie sich dann nicht auf so unangenehme Weise verfolgt fühlen.
    Auf einmal lief es ihr eiskalt den Rücken herunter, und sie bekam feuchte Handflächen. Die Griffe der Plastiktüten, in denen sie ihren Einkauf nach Hause trug, rutschten ihr langsam aus der Hand, und während sie fester zufasste, schob sie sich gleichzeitig die Handtasche etwas weiter die Schulter hinauf.
    Nur noch zwei Blocks …
    »Nur noch zwei Blocks, dann bin ich zu Hause und frei«, murmelte sie leise und bemerkte an dem fragenden Blick, den ihr ein Paar, das rechts an ihr vorbeiging, zuwarf, dass sie schon wieder Selbstgespräche führte. Das war noch so eine Marotte, die sie sich seit Griggs Tod angewöhnt hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wirklich verrückt wurde, wurde immer größer.
    Sie richtete den Blick auf die rosafarbenen Blüten der Begonienbüsche, die in großen Töpfen vor ihrem Apartmenthaus standen – und die die freundliche Mrs Alexander aus 3C erst letzte Woche gepflanzt hatte.
    Nur noch einen Block.
Nur noch einen Block, dann konnte sie die Kette vor ihre Wohnungstür legen, den Riegel vorschieben und endlich wieder Luft holen.
    Sie konzentrierte sich so sehr auf die Topfpflanzen und ihre dahinterliegende Zuflucht, dass sie den riesigen Schatten gar nicht bemerkte, der aus der tiefen, dunklen Gasse auf sie zustürzte.
    Erst als er brutal an dem Riemen ihrer Handtasche riss, den sie sich um ihre Schulter geschlungen hatte, merkte sie, dass sie in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. Er riss ein zweites Mal an ihrer Tasche, und sie wirbelte herum, sodass ihre Einkaufstüten durch die Luft flogen und sich der Inhalt
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