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Geständnis unterm Mistelzweig

Geständnis unterm Mistelzweig

Titel: Geständnis unterm Mistelzweig
Autoren: Emilie Richards
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Egan.
    “Wo?”
    “Die meisten leben auf der Insel Zante in der Nähe einer Stadt, die Zakinthos heißt. Sie sind Bauern. Deine Tante sagt, sie haben Olivenhaine. Wenn sie auf einer bekannteren Insel lebten, hätten unsere Behörden sie nach dem Tod deiner Eltern vielleicht finden können. Aber den ursprünglichen Nachnamen deines Vaters …”
    “Wie hast du …”
    “Ihn herausbekommen? Das hat Rick übernommen. Du weißt ja, dass er für die Einwanderungsbehörde arbeitet.”
    “Das war mir eigentlich nie so richtig bewusst.”
    Rick erläuterte: “Ich wusste, welche Unterlagen ich einsehen musste und wo sie waren. Ich brauchte nur einige Stunden, bis ich deinen Vater unter dem neuen Namen fand, seinen ursprünglichen Namen herausbekam und seine Herkunft bis nach Zante verfolgt hatte.”
    “Nur einige Stunden?”
    Egan konnte nachvollziehen, was sie empfand. Nur einige Stunden Mühe, ein paar Fragen an die richtigen Leute, und schon wäre sie in Griechenland aufgewachsen, inmitten einer Familie, ihrer Familie. “Sie möchten dich kennen lernen, Chloe. Als wir den Namen und den Geburtsort deines Vaters hatten, waren sie leicht aufzufinden. Ich konnte mit deiner Tante telefonieren.”
    Chloe fielen dazu keine Worte ein. Sie konnte sich vorstellen, was ihre Tante gefühlt hatte.
    “Sie war traurig”, fuhr Egan fort, “als ich ihr von deinem Vater und deiner Mutter erzählte. Sie hatte immer befürchtet, dass ihnen etwas zugestoßen sei. Sie glaubte, dein Vater würde den Streit schließlich beigelegt haben, wenn er noch lebte. Als er nicht wieder nach Haus kam, ahnte sie schon Schlimmes.”
    “Hat jemand versucht, mich zu finden?”
    “Ja. Dein Großvater gab schließlich nach und ließ zu, dass deine Onkel suchten. Aber die Familie hatte damit ebenso wenig Erfolg wie umgekehrt der Staat Pennsylvania mit ihnen. Sie kamen einfach nicht an die richtigen Quellen heran.”
    “Mein Großvater?”
    “Er starb vor zehn Jahren.” Egan streichelte Chloes Wange. “Deine Großmutter ist achtzig. Sie sagt, sie wolle nicht sterben, ohne dich vorher gesehen zu haben. Sie alle möchten, dass du möglichst bald zu ihnen fliegst.”
    Chloe dachte an das Geld, das sie gespart hatte und das sie für einen Privatdetektiv hatte ausgeben wollen. Aber das war nicht mehr auf ihrem Konto.
    “Nach Griechenland …”, sagte sie leise.
    “Sie haben Fotos geschickt. Dieses hier wird dich besonders interessieren.” Egan nahm eines von ihrem Schoß.
    Sie betrachtete es und sah die Gesichter ihrer Eltern -- Gesichter, die sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Den Wohnungsbrand hatten keine Fotos überstanden. Wie vieles andere hatte sie im Laufe der Zeit auch vergessen, wie ihre Eltern ausgesehen hatten.
    Egan schaute zu, wie sie jede Einzelheit in sich aufnahm. “Dieses Bild wurde gemacht, kurz bevor sie Griechenland verließen. Deine Tante hatte es versteckt und die ganze Zeit über aufbewahrt.”
    Chloe sah sich die anderen Fotos an und erblickte zum ersten Mal die Familie, von der sie nichts gewusst hatte. Schließlich seufzte sie. “Was könnte ich dazu nur sagen?”
    “Du könntest sagen, dass du nicht böse bist.”
    “Böse? Weshalb sollte ich das sein?”
    “Ich weiß, dass du seit Jahren Geld gespart hast, um sie zu finden. Und ich weiß auch, wie viel dir daran liegt, deine Angelegenheiten selbst zu erledigen.”
    “Ich hätte bestimmt noch viele Jahre gebraucht, bis ich Erfolg gehabt hätte.”
    “Jahre?”
    Chloe nickte, erklärte ihre Behauptung aber nicht. “Meine Großmutter wäre dann wahrscheinlich schon tot gewesen. Jetzt habe ich die Chance, sie noch einmal zu sehen.”
    “Dann bist du uns wirklich nicht böse?”
    “Ich liebe dich.” Sie stand auf und küsste Egan. “Ich liebe euch alle.”
    Die ganze Familie atmete erleichtert auf. Es gab weitere Umarmungen und gute Wünsche, und von nun an lief alles wieder normal. Chloe steckte den Brief ihrer Tante in die Jackentasche. Sie würde ihn später, wenn sie allein war, in aller Ruhe lesen. In den folgenden Monaten würde sie oft genug darüber nachdenken können, was es bedeutete, Mitglied der Familie Palavos zu sein, und sie würde Briefe schreiben. Sie war also doch nicht völlig verwaist, sondern es gab Menschen, die mit ihr blutsverwandt waren und die auf einer Insel mit dem Namen Zante auf sie warteten, weit weg.
    Nun war sie mit einer anderen Familie zusammen, einer Familie, mit der sie keine Blutsbande vereinigten. Aber es war
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