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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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und Mitbürger zu Feinden werden können, gilt immer noch die eigene Wohnung als letzte Bastion gegen die feindliche Außenwelt: My home is my castle. Die wehrhafte Demokratie wird selbst in Deutschland immer häufiger durch eine wehrhafte Privatsphäre mit Alarmanlage und gut sortiertem Waffenschrank ergänzt.
     
    Aber nur ein kleiner Teil der uns bedrohenden Gefahren geht von feindlichen Mächten aus, die sich identifizieren und ins Außen verbannen lassen. Die meisten Gefahren lassen sich heute keinem Feind zuordnen, sondern sind mit unserem
Tun, mit unserer Lebensweise, mit der komplizierten und anfälligen technischen Ausstattung unserer Lebenswelt verbunden. Typisch für die neuzeitliche Sicherheitskultur ist die Umwandlung dieser Gefahren in Risiken und die technisch-organisatorische Minimierung des Risikos durch Sicherheitstechnik. Die Umwandlung von Gefahren in Risiken ist eine Methode der Zähmung der Gefahr, die erst in der Neuzeit ihre klassische Form annimmt: Man teilt sie in handhabbare Einzelgefahren, macht sie berechenbar und verteilt die Verantwortung für Prävention und Kompensation auf viele Schultern. »Risiko ist die durch Portionierung berechenbar gemachte Gefahr, und die Kultur des Risikos gründet sich auf die Überzeugung, dass Berechenbarkeit eine zureichende Form der Beherrschbarkeit darstellt.« 8
     
    Beherrschbar wird die zum berechenbaren Risiko gewandelte Gefahr vor allem durch das Versicherungswesen. In der Moderne ist es durch die nahezu flächendeckende Anwendung des Versicherungsprinzips in der Tat gelungen, ein hohes Maß an Risikotoleranz zu erzeugen. »Das Versicherungsprinzip«, schreibt Thomas Blanke, »vergesellschaftet die Gefahren zu Risiken und emanzipiert die Gesellschaft zu einer ungeahnten Risikoakzeptanz.« 9 Vermutlich ist dies einer der Faktoren, die wesentlich zur Dynamisierung der modernen Gesellschaft beigetragen haben, seit die ersten merchant adventurers auf die Idee kamen, ihre von Schiffbruch, Piraterie und Meuterei bedrohten Frachten bei Lloyds versichern zu lassen. In den meisten Fällen gehen wir Risiken ganz bewusst ein, um einen Nutzen zu erzielen. Es ist ein klares Kalkül: Ich nehme das Risiko eines Unfalls in Kauf, um bei Glatteis mit dem Auto zu meinem Arbeitsplatz zu gelangen, an dem ich das Geld für meinen Lebensunterhalt verdiene. Ich besuche
ein Konzert meiner Lieblingsband, wohl wissend, dass ich dort Gefahr laufe, mir den Grippevirus einzufangen, von dem gerade jetzt in allen Medien die Rede ist. Allerdings: Die ganz großen Risiken, das hat die jüngste Finanzkrise wieder einmal bewiesen, gehen die angeblich so mutigen Freibeuter der Weltmärkte nur dann ein, wenn sie sicher sein können, die Folgen auf Unbeteiligte abwälzen zu können.
     
    Das Problem für uns Heutige ist, dass das doppelte Sicherheitskonzept der Ausgrenzung von Gefahren und der Bearbeitung von Risiken ganz offensichtlich an seine Grenzen kommt: die Externalisierung von Gefahren, die von feindlichen Kräften ausgehen, aber auch die übersichtliche Bilanzierung von Risiko und Nutzen meiner eigenen Handlungen und der der vielen anderen funktioniert in einer eng verflochtenen globalisierten Welt zunehmend weniger. Gleichzeitig versagt in der von Ulrich Beck sogenannten Risikogesellschaft das Versicherungsprinzip, wo immer wir es wie bei der Kernkraft, der Genmanipulation oder dem Klimawandel, bei Tankerhavarien oder einer leckgeschlagenen Tiefseebohrung mit nicht eingrenzbaren Risiken zu tun haben. Das Ergebnis ist, dass über der modernen Gesellschaft permanent eine latente Katastrophendrohung liegt, die sich in der diffusen Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung niederschlägt, überall Gefahren zu wittern und darauf panikartig zu reagieren, besonders wenn diese durch die Medien hochgespielt werden.
     
    Die Lage des Menschen bleibt, das erkennen wir heute, trotz der ins Maßlose gesteigerten Sicherheitsanstrengungen auch im 21. Jahrhundert prekär, ja, es scheint, dass sie in mancher Hinsicht prekärer wird, sodass Angst und Unsicherheit wachsen und damit auch die Gefahr hysterischer Reaktionen. Eine ganz normale Grippewelle wird in den Medien schnell zu einer drohenden Pandemie hochgeredet, und wenn nur scheinbar neutrale Experten der pharmazeutischen Industrie,
die ein Jahrhundertgeschäft wittert, die düsteren Prognosen bestätigen, ist es auch für ausgeglichene Gemüter schwer, gelassen zu bleiben. Umso erstaunlicher, dass bisher die Menschen der westlichen
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