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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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über die Sicherung von Baustellen, Gleisanlagen, Mülldeponien, über Arbeitsschutz, Jugendschutz und Seuchenschutz, über den Schutz der Gewässer vor den Menschen und der Menschen vor verseuchtem Wasser.
     
    Sicherheit definiert Meyers Enzyklopädisches Lexikon  – hier zitiert nach der Auflage von 1977 – als »Zustand des Unbedrohtseins, der sich objektiv im Vorhandensein von Schutz(einrichtungen) bzw. im Fehlen von Gefahr(enquellen) darstellt und subjektiv als Gewissheit von Individuen oder sozialen Gebilden über die Zuverlässigkeit von Sicherungs- und Schutzeinrichtungen empfunden wird. Individuelle Sicherheitsbedürfnisse bestehen gegen die Gefährdung der materiellen Existenz u. a. durch Krankheiten, Unfälle, soziale Notlagen sowie durch gegen Person und/oder Eigentum gerichtete Willkür- und Gewaltakte; Schutz vor letzteren bieten die Verfassung und die Institutionen des Rechtsstaats sowie die Garantie der Menschen- und Grundrechte. Angriffe von innen
und außen wehren die Staaten durch Maßnahmen staatlicher Sicherheitspolitik ab.«
     
    Allerdings, was sich in der wohlgeordneten Welt der Enzyklopädie so reibungslos ineinanderfügt, ist in Wirklichkeit voller dorniger Widersprüche. Schutz soll uns die Verfassung bieten, Sicherheit vor Übergriffen Einzelner und des Staates. Darum die Garantie der Menschen- und Grundrechte. Aber die Behörden, die sich für unsere Sicherheit verantwortlich fühlen, greifen immer ungenierter in die grundgesetzlich garantierten Rechte ein, um terroristische Gewalt und Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung abzuwehren und der wachsenden organisierten Kriminalität Herr zu werden. Weil sicher sicher ist. Weil man nie wissen kann. Weil jeder Bürger von Staats wegen verdächtig ist – besonders wenn er von seinen Grundrechten Gebrauch macht.
     
    Verfassungswidrige Aktivität zum Schutz der Verfassung – das ist nur einer der vielen Widersprüche, denen man begegnet, wenn man sich mit dem Thema Sicherheit näher befasst. Überall, so scheint es, werden die Systeme, die die Risiken minimieren sollen, selbst immer öfter zum unberechenbaren Risiko. Das gilt für die Militärapparate, für die Polizei, für den Staatsschutz, für die zentralen Versorgungseinrichtungen, auf die wir bei den einfachsten täglichen Verrichtungen angewiesen sind, ja, in gewisser Weise sogar für die sozialen Dienste. Vor allem gilt es auch für das global funktionierende System der Reichtumsproduktion, von dem wir uns erhofften, dass es Knappheiten, Hunger und Elend beseitigen würde, und von dem wir jetzt wissen, dass es, wie Nicholas Sterns Bericht über die ökonomischen Folgen des Klimawandels belegt, zu gewaltigen Schädigungen führt, die abzuwenden oder auch nur abzumildern bis zu zwanzig Prozent des Weltsozialprodukts verschlingen würde. Und wo Menschen, die es sich leisten können, sich, beunruhigt über die vielen über sie hereinbrechenden
Gefahren, in die vermeintliche Geborgenheit ummauerter Gemeinschaften zurückziehen, wird die Umwelt, werden die Fremden erst recht als bedrohlich wahrgenommen, sodass Angst und Unsicherheit eher noch weiter zunehmen und der weltoffene Geist der Freiheit allzu leicht einem latent oder offen aggressiven Provinzialismus Platz macht.
     
    Beunruhigende Fragen stellen sich ein: Was hat die explosionsartige Zunahme von Sicherheitsleistungen verursacht? Und: Hat sie uns tatsächlich, alles in allem, mehr Sicherheit, mehr Freiheit von Angst eingebracht? Oder ist die Maßlosigkeit unseres Sicherheitsbedürfnisses nur ein Indiz für die Maßlosigkeit unserer Angst? Und: Woher rührt die Angst, die uns zu so gewaltiger vorsorgender und versichernder Betriebsamkeit drängt?
     
    Politiker aller Lager verweisen auf die erhöhten Gefahren in unserer modernen Welt: Früher war es die Bedrohung aus dem Osten, heute, nach den Anschlägen vom 11. September 2001, ist es der »muslimisch-fundamentalistische« Terrorismus, der an erster Stelle genannt wird. Es folgen die Gefahren der Technik, die Erderwärmung, die sozialen Probleme, Epidemien oder vorschnell in den Medien zu Epidemien erklärte Krankheiten, die scheinbar immer mehr um sich greifende Kriminalität. Kann man einen Schwerverbrecher, kann man einen Sexualstraftäter nach zwanzig, dreißig Jahren Haft freilassen, wenn doch von ihm noch eine Gefahr ausgehen könnte? Der Konflikt um die Sicherungsverwahrung, ausgelöst durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für
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