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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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Menschenrechte, erregt die Öffentlichkeit ebenso wie die Diskussion über die Zulässigkeit der Folter, die bei jedem Fall von Kindesentführung und bei jedem Terrorverdacht wieder aufbrandet. Angesichts wachsender Gefährdungen, so meinen die meisten Menschen, seien verstärkte Anstrengungen für unsere Sicherheit unerlässlich. Und wenn dabei geheiligte
Grundsätze des Rechtsstaats angetastet werden müssten, so sei das als unvermeidlich hinzunehmen.
     
    Wo die Gefahr, auch die nur eingebildete, wächst, wächst die Angst, wächst der Sicherheitsaufwand, wachsen die Kontrollbefugnisse des Staates auch. Wer bei der Frage nach den Gründen dieses Eskalationsprozesses nicht tiefer dringt, landet unausweichlich bei der Forderung nach immer perfekteren technisch-organisatorischen Sicherheitsleistungen. Gestritten wird dann allenfalls darüber, wo zunächst und vornehmlich investiert werden soll: in die Rüstung, in den Ausbau der Polizei, in den Zivilschutz oder eher in die soziale Sicherung, in den Unfall- oder den Umweltschutz.
     
    Andererseits: Wenn heute gegen übertriebenes Sicherheitsdenken polemisiert und größere Risikobereitschaft gefordert wird, handelt es sich zumeist um taktische Manöver im Interessenkampf. Manche Unternehmerverbandssprecher tarnen hinter solch grundsätzlicher Argumentation ihre Versuche, zulasten der Sozialhaushalte mehr öffentliche Gelder zur Absicherung privater Investitionen zu erhalten. Wirtschaftsminister machen gelegentlich auf diese Weise deutlich, dass sie von den Unternehmen mehr innovative Investitionen erwarten, oder die Finanzminister, dass sie zu weiteren Investitionshilfen und Steuernachlässen nicht mehr bereit sind. Neoliberale und Monetaristen versuchen mit solchen Tönen, ihrem Eintreten für einen entfesselten Markt und für die Privatisierung öffentlicher Leistungen eine philosophisch-kulturelle Dimension zu geben. Kaum je ist unter den Lobrednern auf Risikobereitschaft und Lust am Abenteuer einer, der seine Schäfchen nicht schon im Trockenen hätte. Oder es handelt sich um vorübergehendes Kokettieren mit der Bohème, aus jugendlichem Überschwang und nicht selten in dem Bewusstsein, dass nach dem Examen krisensichere Beamtenbezüge winken.

     
    Die Mehrheit der Menschen hält wenig von solch frivolem Umgang mit Fragen der Sicherheit. Allenfalls im Kino oder im Fernsehen haben Abenteuer ihren Reiz, im wirklichen Leben hört der Spaß an ihnen sehr schnell auf. Wer die Geschichte deutscher Abenteuerlust kennt, kann darüber so traurig nicht sein. Ernst Jünger hat uns in seinem Buch In Stahlgewittern eine Kostprobe davon gegeben: »Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch.« Was, wenn es stimmte, dass solch mörderische Abenteuerlust tatsächlich in einem dialektischen Umschlag aus einer Atmosphäre (vermeintlich) risikoloser Ordnung entstehen kann? Ist es richtig, was rebellierende Studenten im Pariser Mai an die Hauswände schrieben: »Eine Gesellschaft, die jedes Abenteuer abgeschafft hat, macht ihre eigene Abschaffung zum einzig möglichen Abenteuer«? Und: Heißt dieses Abenteuer – anders als es sich die Studenten von 1968 vorstellten – heute vielleicht »Kampf der Kulturen« (Huntington) oder – immer noch – führbarer und gewinnbarer Atomkrieg ?
     
    Dass eine Kultur der Freiheit und des zivilen Umgangs nicht entstehen kann, wenn die Menschen schutzlos tausend Gefahren ausgeliefert sind, ist offensichtlich. Aber das heißt natürlich nicht, dass es sinnvoll und möglich wäre, vorbeugend alle Risiken auszuschalten. Viel spricht dafür, dass die immer weiter getriebene Perfektion unserer Sicherheitsleistungen sowohl auf der Seite der Subjekte wie auf der Seite der objektiven Strukturen eine gefährliche, lebensfeindliche Dynamik freisetzt; dass das Streben nach Sicherheit jedes vernünftige Maß überschritten hat und zur kollektiven Obsession geworden ist; dass wir drauf und dran sind, dem Götzen Sicherheit alles zu opfern, was schützenswert ist.

     
    Das vernünftige Maß! Eine verdächtige Formel, verdächtig vor allem, weil sie mit Vorliebe von jenen verwendet wird, die, um ihre eigene Maßlosigkeit umso ungehemmter befriedigen zu können, anderen Bescheidenheit predigen. Und dennoch ist es richtig, dass in puncto Sicherheit wie auch in anderen Bereichen Optimierung und Maximierung nicht dasselbe sind.
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