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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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hatte Sasha die Fenster des Explorers mit einem Schutzfilm tönen lassen. Dennoch war der Anblick erschreckend heller als das, was ich gewöhnt war.
    Ich schob die Brille das Nasenbein hinab und spähte über das Gestell.
    Die Piniennadeln nähten eine komplizierte dunkle Stickerei auf einen wundersam purpurblauen Spätnachmittagshimmel, der geheimnisvoll leuchtete, und eine Reflexion dieses Musters flackerte über die Windschutzscheibe.
    Ich schob die Brille schnell wieder zurück, nicht nur, um meine Augen zu schützen, sondern auch, weil ich mich plötzlich schämte, solch ein Vergnügen an dieser seltenen Fahrt bei Tageslicht zu empfinden, obwohl mein Vater im Sterben lag.
    Sasha fuhr mit Bedacht, auch wenn sie, da kaum Verkehr herrschte, kein einziges Mal an den Kreuzungen anhielt. »Ich gehe mit dir rein«, sagte sie.
    »Das ist nicht nötig.«
    Sashas Abneigung gegen Ärzte und Krankenschwestern und alles, was mit der Medizin zu tun hatte, grenzte an eine Phobie. Die meiste Zeit über war sie davon überzeugt, daß sie ewig leben würde; sie hatte großes Vertrauen in die Kraft von Vitaminen, Mineralien, Alterungsschutzmitteln, des positiven Denkens und von Geist-Körper-Heiltechniken. Jeder Besuch in einem Krankenhaus erschütterte jedoch vorübergehend ihre Überzeugung, daß sie dem Schicksal allen Fleisches entrinnen würde.
    »Wirklich«, sagte sie, »ich sollte dich begleiten. Ich liebe deinen Dad.«
    Ihre äußerliche Ruhe strafte ein Beben in ihrer Stimme Lügen, und ich war gerührt von ihrer Bereitschaft, nur wegen mir den Ort zu betreten, den sie am meisten verabscheute.
    »Ich will allein mit ihm sein«, sagte ich, »die wenige Zeit, die wir noch haben.«
    »Ehrlich?«
    »Ehrlich. Hör mal, ich habe vergessen, Orson etwas zum Fressen rauszusetzen. Könntest du zum Haus zurückfahren und dich darum kümmern?«
    »Ja«, sagte sie, erleichtert, etwas zu tun zu haben. »Armer Orson. Er und dein Dad… sie waren echte Kumpel.«
    »Ich schwöre, er weiß es.«
    »Klar. Tiere wissen so was.«
    »Besonders Orson.«
    Von der Ocean Avenue bog sie nach links auf die Pacific View ab. Das Mercy Hospital lag noch zwei Häuserblocks entfernt.
    »Er wird schon klarkommen«, sagte sie.
    »Er zeigt es nicht sehr, aber auf seine Weise trauert er schon.«
    »Ich gebe ihm jede Menge Streicheleinheiten.«
    »Dad war seine Verbindung mit dem Tag.«
    »Jetzt werde ich seine Verbindung sein«, versprach sie.
    »Er kann nicht ausschließlich im Dunkeln leben.«
    »Er hat mich, und ich gehe nicht weg.«
    »Nein?« sagte ich.
    »Er wird schon klarkommen.«
    In Wirklichkeit sprachen wir gar nicht mehr vom Hund.
    Das Krankenhaus ist ein dreistöckiges Gebäude im kalifornischen mediterranen Stil, erbaut in einer anderen Zeit, als dieser Ausdruck nicht mit einfallsloser Reihenhausarchitektur und billiger Bauweise assoziiert wurde. Die tief eingelassenen Fenster werden von Bronzerahmen umfaßt, die eine herrliche Patina aufweisen. Die Räume im Erdgeschoß werden von Loggien mit Bögen und Kalksteinsäulen abgeschirmt.
    Einige der Säulen werden von den holzigen Ranken uralter Bougainvillea umschlungen, die die Loggiadächer bedecken. Heute hingen, obwohl der Frühling noch zwei Wochen entfernt war, Kaskaden scharlachroter und leuchtend purpurner Blüten an den Dachgesimsen herab.
    Ein paar gewagte Sekunden lang schob ich die Sonnenbrille die Nase hinunter und staunte über die sonnenbesprenkelte Farbenpracht.
    Sasha hielt vor einem Nebeneingang an.
    Als ich mich vom Sicherheitsgurt befreite, legte sie eine Hand auf meinen Arm und drückte leicht zu. »Ruf mich mit dem Handy an, wenn ich dich abholen soll.«
    »Wenn ich hier fertig bin, wird die Sonne schon untergegangen sein. Ich gehe zu Fuß.«
    »Wenn du es so willst.«
    »Ja.«
    Erneut schob ich die Brille die Nase hinunter, diesmal, um Sasha Goodall zu sehen, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Bei Kerzenlicht sind ihre grauen Augen tief, aber klar – wie auch hier in der Tageswelt. Ihr dichtes, mahagonibraunes Haar schimmert bei Kerzenschein wie Wein in einem Kristallglas – aber unter der liebkosenden Hand der Sonne schimmert es noch viel mehr. Ihre weiße Rosenblütenblatthaut weist schwache Sommersprossen auf, deren Muster ich genausogut kenne wie die Konstellationen in jedem Quadranten des Nachthimmels, zu jeder Jahreszeit.
    Mit einem Finger schob Sasha meine Sonnenbrille wieder an Ort und Stelle zurück. »Sei nicht töricht.«
    Ich bin ein Mensch. Wir sind nun mal
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