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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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Artgenossen kann er den Blick eines Menschen so lange erwidern, wie sein Interesse anhält.
    Tiere sehen uns normalerweise nur kurz an – um dann den Blick abzuwenden, als würde sie etwas entnerven, was sie in den Augen von Menschen sehen. Vielleicht sieht Orson, was andere Hunde auch sehen, und vielleicht stört es ihn ebenfalls, aber er läßt sich nicht einschüchtern.
    Er ist ein seltsamer Hund. Aber er ist mein Hund, mein zuverlässiger Freund, und ich liebe ihn.
    Beim siebten Klingeln gab ich mich dem Unausweichlichen hin und hob ab.
    Eine Schwester vom Mercy Hospital war dran. Ich sprach mit ihr, ohne den Blick von Orson abzuwenden.
    Mein Vater werde immer schwächer. Die Schwester legte mir nahe, sobald als möglich an sein Bett zu eilen.
    Nachdem ich aufgehängt hatte, kam Orson zu mir und legte seinen bulligen schwarzen Kopf auf meinen Schoß. Er winselte leise und drückte die Schnauze gegen meine Hand. Er wedelte nicht mit dem Schwanz.
    Einen Augenblick lang war ich wie betäubt, konnte nicht denken, nichts tun. Die Stille des Hauses war so tief wie Wasser in einer Meeressenke, ein zerschmetternder, lähmender Druck. Dann rief ich Sasha Goodall an, um sie zu bitten, mich ins Krankenhaus zu fahren.
    Normalerweise schlief sie von Mittag bis acht Uhr abends. Sie legte in der Dunkelheit Musik auf, von Mitternacht bis sechs Uhr morgens, für KBAY, den einzigen Rundfunksender in Moonlight Bay. Kurz nach fünf an so einem Spätnachmittag im März wie heute schlief sie wahrscheinlich noch, und ich bedauerte es, sie wecken zu müssen.
    Doch wie Orson mit den traurigen Augen war auch Sasha eine Freundin, an die ich mich jederzeit wenden konnte. Und sie war ein weitaus besserer Chauffeur als der Hund.
    Sie antwortete beim zweiten Klingelton, ohne die geringste Spur von Schläfrigkeit in der Stimme. Bevor ich ihr erklären konnte, was geschehen war, sagte sie: »Chris, es tut mir so leid«, als hätte sie auf diesen Anruf nur gewartet und im Läuten ihres Telefons denselben beunruhigenden Klang wahrgenommen wie Orson und ich bei meinem.
    Ich biß mir auf die Lippen und weigerte mich einfach, das Bevorstehende wahrhaben zu wollen. Solange Dad lebte, blieb die Hoffnung bestehen, daß die Ärzte sich irrten. Selbst in letzter Minute konnte der Krebs sich noch zurückbilden.
    Ich glaube daran, daß Wunder geschehen können.
    Schließlich habe ich trotz meines Zustands bereits über achtundzwanzig Jahre lang gelebt, was gewissermaßen auch ein Wunder ist – wenngleich manche Leute, die mein Leben von außen sehen, es vielleicht für einen Fluch halten.
    Ich glaube an Wunder, mehr noch glaube ich daran, daß wir sie brauchen.
    »Ich bin in fünf Minuten da«, versprach Sasha.
    Nachts kann ich immer zu Fuß zum Krankenhaus gehen, aber zur jetzigen Stunde würde ich zuviel Aufmerksamkeit erregen und mich dabei auch in zu große Gefahr begeben.
    »Nein«, sagte ich. »Fahr vorsichtig. Ich bin sowieso erst in zehn Minuten oder so fertig.«
    »Ich liebe dich, Snowman.«
    »Ich dich auch«, erwiderte ich.
    Ich schob die Kappe auf den Füller, mit dem ich geschrieben hatte, als der Anruf vom Krankenhaus gekommen war, und legte ihn gemeinsam mit dem Notizblock beiseite.
    Mit dem langstieligen Messinghütchen löschte ich die drei dicken Kerzen. Lange, geschmeidige Rauchgeister wanden sich im Schatten.
    Inzwischen, eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung, stand die Sonne zwar tief am Himmel, war für mich aber noch immer gefährlich. Sie schimmerte bedrohlich an den Rändern der gefältelten Jalousien, die alle Fenster bedeckten.
    Orson ahnte wie üblich voraus, was ich beabsichtigte, und hatte den Raum schon verlassen, trottete durch die Diele im ersten Stock.
    Er ist ein vierzig Kilo schwerer Labradormischling, so schwarz wie die Katze einer Hexe. Fast unsichtbar streift er durch die abgestuften Schatten unseres Hauses; nur das Tapsen seiner großen Pfoten auf den Läufern und das Scharren seiner Krallen auf dem Parkettboden verrät seine Anwesenheit.
    In meinem Schlafzimmer, das gegenüber vom Arbeitszimmer liegt, verzichtete ich darauf, die mit einem Dimmer versehene Mattglaslampe unter der Decke einzuschalten. Das indirekte, trübgelbe Licht der untergehenden Sonne, das sich gegen die Ränder der Jalousien drückte, genügte mir völlig.
    Meine Augen sind besser ans Halbdunkel angepaßt als die der meisten Menschen. Obwohl ich, bildlich gesprochen, ein Bruder der Eule bin, habe ich keinerlei besondere Fähigkeit zur
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