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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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Nachtsicht, nichts so Romantisches oder Spannendes wie eine übersinnliche Begabung. Es ist ganz einfach: Lebenslange Gewöhnung an die Dunkelheit hat meine Sehfähigkeit geschärft.
    Orson sprang auf die Fußbank und rollte sich dann auf dem Sessel zusammen, um mich zu beobachten, wie ich mich für die sonnenhelle Welt wappnete.
    Aus einem Spiegelschrank im benachbarten Bad nahm ich eine Plastikflasche Sonnencreme mit einem Schutzfaktor von fünfzig. Ich trug sie großzügig auf Gesicht, Ohren und Hals auf.
    Die Lotion roch schwach nach Kokosnuß, ein Duft, den ich mit Palmen im Sonnenschein in Verbindung brachte, mit einem tropischen Himmel, dem Blick auf ein weites Meer im Nachmittagslicht und anderen Dingen, die mir niemals zugänglich sein werden. Das ist für mich der Wohlgeruch des Verlangens und der Verweigerung und der hoffnungslosen Sehnsucht, das durchdringende Parfüm des Unerreichbaren.
    Manchmal träume ich, daß ich in einem Regen aus Sonnenschein an einem Karibikstrand spazierengehe, und der weiße Sand unter meinen Füßen ist wie ein Kissen aus schierem Leuchten. Die Wärme der Sonne auf meiner Haut wirkt erotischer als die Berührung einer Liebhaberin. In diesem Traum bin ich nicht nur in Licht gebadet, sondern werde von ihm durchdrungen. Wenn ich aufwache, kommt es mir vor, als hätte man mir etwas genommen.
    Auch wenn die Lotion nach tropischer Sonne roch, fühlte sie sich auf meinem Gesicht und Hals kalt an. Ich rieb sie auch in die Hände und Handgelenke ein.
    Das Bad verfügte über ein einziges Fenster, dessen Jalousie im Augenblick hochgezogen war, aber der Raum wurde trotzdem nur schwach erhellt, weil die Scheibe aus Milchglas bestand und das einfallende Sonnenlicht von den anmutigen Ästen eines Eisenholzbaumes gefiltert wurde. Die Silhouetten von Blättern flatterten auf der Scheibe.
    Im Spiegel über dem Waschbecken war mein Bild kaum mehr als ein Schatten. Selbst wenn ich das Licht eingeschaltet hätte, hätte ich mich nicht deutlich sehen können, da die Glühbirne in der Deckenlampe nur wenige Watt hatte und pfirsichfarben getönt war.
    Nur selten habe ich mein Gesicht in vollem Licht gesehen.
    Sasha behauptet, ich erinnere sie an James Dean, aber mehr an den in Jenseits von Eden als an den in Denn sie wissen nicht, was sie tun.
    Ich selbst erkenne diese Ähnlichkeit nicht. Das Haar ist das gleiche, ja, und die hellblauen Augen. Aber er wirkte so verletzt, und ich sehe mich nicht so.
    Ich bin nicht James Dean. Ich bin kein anderer als ich, Christopher Snow, und ich kann damit leben.
    Nachdem ich die Lotion aufgetragen hatte, ging ich ins Schlafzimmer zurück. Orson hob den Kopf vom Sessel und schnupperte genüßlich den Kokosduft.
    Ich trug bereits Tennissocken, Nikes, Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Ich zog schnell ein schwarzes Jeanshemd mit langen Ärmeln darüber und knöpfte es bis zum obersten Knopf zu.
    Orson folgte mir die Treppe hinab zur Diele. Da die Veranda sehr tief und überdacht war und zwei gewaltige kalifornische Immergrüne Eichen auf dem Hof standen, konnte kein direkter Sonnenstrahl die kleinen Fenster neben der Haustür erreichen; dementsprechend waren sie nicht mit Vorhängen oder Jalousien bedeckt. Die Scheiben aus Bleiverglasung – klare grüne, rote und bernsteinfarbene geometrische Mosaike – leuchteten schwach wie Juwelen.
    Ich nahm eine schwarze Lederjacke mit Reißverschluß aus dem Garderobenschrank. Ich würde nach Anbruch der Dunkelheit unterwegs sein, und selbst nach einem milden Märztag kann es an der Küste Mittelkaliforniens nach Sonnenuntergang noch ziemlich kühl werden.
    Von der Hutablage im Schrank schnappte ich mir eine marineblaue Schirmmütze und setzte sie auf, zog sie tief über die Stirn. Vorn, über dem Schirm, standen in rubinrot gestickten Buchstaben die Worte MYSTERY TRAIN .
    Eines Nachts im vergangenen Herbst hatte ich die Kappe in Fort Wyvern gefunden, dem aufgegebenen Militärstützpunkt ein Stück landeinwärts von Moonlight Bay. Sie war der einzige Gegenstand in einem kühlen, trockenen Betonraum drei Stockwerke unter der Erde gewesen.
    Obwohl ich keine Ahnung hatte, worauf die gestickten Worte sich bezogen, hatte ich die Mütze behalten, weil sie mich faszinierte.
    Als ich mich zur Haustür wandte, jaulte Orson flehentlich.
    Ich bückte mich und streichelte ihn. »Dad würde dich bestimmt gern ein letztes Mal sehen, Kumpel. Da bin ich mir ganz sicher. Aber in einem Krankenhaus hast du leider nichts zu suchen.«
    In seinen
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