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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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fixierenden pechschwarzen Augen schimmerte es. Ich hätte schwören können, daß Trauer und Mitgefühl darin lagen. Vielleicht hatte ich aber diesen Eindruck auch nur, weil ich ihn durch die eigenen unterdrückten Tränen betrachtete.
    Mein Freund Bobby Halloway behauptet, ich neige dazu, Tiere zu anthropomorphisieren, ihnen menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zuzuschreiben, die sie in Wirklichkeit gar nicht haben.
    Vielleicht liegt es daran, weil Tiere – im Gegensatz zu einigen Menschen – mich immer als das akzeptiert haben, was ich bin. Die vierbeinigen Bewohner von Moonlight Bay scheinen ein viel genaueres Verständnis vom Leben – und auch größere Freundlichkeit – zu haben als zumindest einige meiner Nachbarn.
    Bobby meint, trotz meiner Erfahrungen mit Tieren sei es ein Zeichen von Unreife, sie zu vermenschlichen. Ich erwidere darauf stets, er solle mich am Arsch lecken.
    Ich tröstete Orson, streichelte sein glänzendes Fell und kraulte ihn hinter den Ohren. Er wirkte seltsam angespannt. Zweimal legte er den Kopf auf die Seite, um eindringlich auf Geräusche zu lauschen, die ich nicht hören konnte – als spürte er eine sich abzeichnende Bedrohung, etwas, das noch schlimmer war als der Verlust meines Vaters.
    Damals hatte ich noch nichts Verdächtiges am bevorstehenden Tod von Dad gesehen. Krebs war nur Schicksal, kein Mord  – außer, man wollte Gott des Mordes anklagen. Daß ich innerhalb von zwei Jahren beide Eltern verloren hatte, daß meine Mutter mit nur zweiundfünfzig Jahren gestorben war, mein Vater mit nur sechsundfünfzig Jahren auf dem Sterbebett lag… nun ja, das alles schien lediglich Pech zu sein – das mich buchstäblich begleitet hatte, seit meine Mutter mich empfangen hatte.
    Später würde ich Grund haben, mich an Orsons Anspannung zu erinnern – und guten Grund, mich zu fragen, ob er die Flutwelle der Schwierigkeiten gespürt hatte, die auf uns zurollte.
    Bobby Halloway hätte darüber sicherlich die Nase gerümpft und gesagt, jetzt würde ich den Köter nicht mehr nur vermenschlichen, sondern ihm sogar übermenschliche Eigenschaften zuschreiben. Ich hätte Bobby recht geben – und ihm dann sagen müssen, er solle mich gewaltig am Arsch lecken.
    Auf jeden Fall streichelte und kraulte und tröstete ich Orson, bis auf der Straße eine Hupe dröhnte und dann, fast gleichzeitig, noch einmal auf der Auffahrt.
    Sasha war da.
    Trotz der Sonnenschutzcreme auf meinem Hals schlug ich als zusätzlichen Schutz den Kragen der Jacke hoch.
    Von dem Stickley-Beistelltisch unter einem Druck von Maxfield Parrishs Daybreak griff ich mir eine Panoramasonnenbrille.
    Als ich die Hand auf den schmiedekupfernen Türknopf legte, drehte ich mich noch einmal zu Orson um. »Wir kommen schon klar.«
    In Wirklichkeit wußte ich nicht, wie gut wir ohne meinen Vater klarkommen würden. Er war unsere Verbindung zur Welt des Lichts und den Menschen des Tages.
    Überdies liebte er mich, wie kein anderer Mensch auf Erden mich lieben konnte, wie nur ein Vater oder eine Mutter ein behindertes Kind lieben konnte. Er verstand mich, wie vielleicht kein anderer mich je wieder verstehen würde.
    »Wir kommen schon klar«, wiederholte ich.
    Der Hund betrachtete mich ernst und bellte einmal leise, fast mitleidig, als wüßte er, daß ich log.
    Ich öffnete die Haustür und setzte im Hinausgehen die Panoramasonnenbrille auf. Die Spezialgläser ließen keinerlei UV-Strahlung durch.
    Meine Augen sind meine größter Schwachpunkt. Ich darf bei ihnen nicht das geringste Risiko eingehen.
    Sashas grüner Ford Explorer stand mit laufendem Motor in der Auffahrt, und sie saß hinter dem Lenkrad.
    Ich zog die Haustür zu und schloß ab. Orson hatte keinen Versuch unternommen, hinter mir hinauszuschlüpfen.
    Im Westen war eine Brise aufgekommen: ein auflandiger Wind, der den schwachen, strengen Geruch des Meeres mit sich brachte. Die Blätter der Eichen flüsterten, als gäben sie von Ast zu Ast Geheimnisse weiter.
    Meine Brust zog sich so fest zusammen, daß meine Lunge sich verengt anfühlte, wie es stets der Fall war, wenn ich mich im Tageslicht nach draußen wagen mußte. Das Symptom war rein psychologisch bedingt, beeinträchtigte mich aber trotzdem.
    Als ich die Verandatreppe hinab und den Steinplattenweg zur Auffahrt entlangging, kam ich mir niedergedrückt vor. Vielleicht fühlte sich so ein Tiefseetaucher in einem Druckanzug mit unendlichen Massen von Wasser über ihm.

2
    »Hallo, Snowman«, sagte Sasha
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