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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens
Autoren: Ernst Peter Fischer
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besondere Aufmerksamkeit verdient.
    An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass es im frü-hen 19. Jahrhundert lange gedauert hat, bis die Biologen der Ansicht waren, dass sowohl alle Pflanzen als auch alle Tiere aus Zellen bestehen. Und im frühen 20. Jahrhundert war keineswegs klar, dass alle Organismen über Gene verfügten, so wie es Delbrück universal behauptete. Dass er im Rückblick Recht gehabt hat, macht es für seine Zeitgenossen nicht leichter, den Satz als gültig und richtungsweisend anzusehen, und durchgesetzt hat sich Delbrücks Gedanke zunächst vor allem deshalb, weil er von einem berühmten Physiker aufgenommen und propagiert worden ist.
    Gemeint ist Erwin Schrödinger, der an der Formulierung der Quantenmechanik maßgeblich beteiligt war und dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist. In seinem Buch mit dem Titel Was ist Leben? bezeichnet Schrödinger den eben zitierten Sachverhalt als »Delbrücks Modell« des Gens und legt es all den Wissenschaftlern ans Herz, die versuchen wollten, das Rätsel des Lebens zu lösen. Schrödingers Buch ist in den Jahren des Zweiten Weltkriegs entstanden und hat einen ungewöhnlichen Einfluss auf die Entwicklung der Molekularbiologie ausgeübt, die in den 1950er Jahren entstand.
    Zur selben Zeit, da Schrödinger Delbrücks Atomverband als Ausgangspunkt für weitere Erkundungen in der Genetik empfiehlt, identifiziert ein Team von Medizinern und Biochemikern an der Rockefeiler Universität in New York die molekulare Basis der Gene. Oswald Avery und seine Mitarbeiter melden im Jahr 1944, dass sie einer chemischen Substanz genetische Relevanz zuordnen können. Die Substanz gehört zu der Gruppe der Nukleinsäuren, weil sie in chemischen Versuchen als (milde) Säure reagiert und im Kern (lateinisch: nucleus) von Zellen vorhanden ist, und sie heißt konkret Desoxyribonukleinsäure - abgekürzt im Englischen als DNA -, weil die Chemiker ihren Zuckeranteil Desoxyribose nennen.
    Der Stoff namens DNA war den Chemikern schon länger bekannt, ohne dass sie ihm eine Aufgabe im Zellgeschehen geben konnten. Die Substanz wirkte eher unwichtig und reaktionsträge, und wenn man überhaupt Vermutungen über den chemischen Aufbau der Gene anstellte, dachte man an die Moleküle, die wir noch als Proteine kennen lernen werden. Auch Avery und sein Team hätten auf diese Stoffklasse gewettet, als sie nach dem Faktor suchten, von dem sie wussten, dass er in der Lage war, Bakterien eine neue Eigenschaft zu geben, die auch vererbt wurde. Die Wissenschaftler sprachen konkret von einem »Transformationsprinzip«, dem sie auf der Spur waren und dessen materielle Basis sie suchten, wobei die Verwandlung (Transformation) darin bestand, dass aus eher harmlosen Bakterien durch Zugabe einer äußerst stabilen chemischen Substanz gefährliche Krankheitserreger geworden waren, die diese gefährliche Qualität an nachfolgende Generationen weiterreichten. Durch traditionelle chemische Trennverfahren gelang es dem Team der Rockefeller Universität, das Transformationsprinzip aus den Bakterien zu isolieren und seine Zusammensetzung zu analysieren. Die Antwort überraschte damals alle, nicht zuletzt Avery selbst, denn sie lautete DNA.
    DNA - das war damals eine Abkürzung unter vielen, und damit wurde ein Stoff bezeichnet, von dem man die genaue Zusammensetzung nicht kannte. Außerdem gab es Zweifel am Ergebnis von Averys Gruppe: Konnte es nicht sein, dass sie irgendwelche Stoffe übersehen hatten? Überhaupt: Konnte man bei Bakterien eigentlich von Genen reden? Die Genetiker hatten sich doch bislang nur um Lebensformen gekümmert, die sich auf geschlechtliche Weise vermehrten, und alles, was man damals von Bakterien kannte, wies darauf hin, dass sie sich einfach nur teilten, ohne etwas anderes zu tun und etwa genetisches Material auszutauschen. Und selbst wenn alles seine Richtigkeit hatte - Averys Experimente zeigten doch bestenfalls, dass die DNA eine Komponente der Erbsubstanz bildete. Sie zeigten keinesfalls, dass die DNA die einzige Molekülsorte war, aus der die Gene bestanden.
    Das letzte Problem wurde im Jahre 1952 gelöst, und zwar von den beiden amerikanischen Genetikern Martha Chase und Alfred Hershey. Sie arbeiteten mit Viren, die Bakterien zerstören können und deshalb auch Bakteriophagen (»Bakterienfresser«) oder kurz Phagen hießen. Doch bevor wir ihr Experiment schildern, mit dem die große Entdeckung des Jahres 1953 vorbereitet wurde - die Entdeckung der Doppelhelix
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