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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens
Autoren: Ernst Peter Fischer
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große dänische Physiker Niels Bohr in einem Vortrag mit dem Titel »Licht und Leben« entwickelnden er 1932 in Kopenhagen hielt. In den fünf Jahren zwischen Mullers Entdeckung und Bohrs Vortrag waren viele Bemühungen unternommen worden, um die Rolle der Röntgenstrahlung, die man sich als Licht mit besonders hohen Energien vorstellen kann, genauer zu verstehen und zum Beispiel herauszufinden, was konkret mit den Energiequanten passiert, wenn sie als Strahlung auf lebendiges Gewebe treffen. Mit welchem Stoff beziehungsweise mit welchen Molekülen kommen sie dabei in Kontakt? Wo genau und wie treffen sie auf einer Zelle auf?
    Das Interesse an Auswirkungen der Röntgenstrahlen war allein deshalb groß, weil die Möglichkeit bestand, dass Mullers Entdekkung zum Verständnis der Evolution beitragen konnte, etwa indem sie Auskunft über die Mutationsraten von Genen gab, die zum Wandel des Lebens notwendig waren. Außerdem war der Gedanke naheliegend - und er wurde auch in vielen Laboratorien bestätigt -, dass nicht nur die Röntgenstrahlen, sondern zum Beispiel auch ultraviolettes Licht mutagene Effekte haben und Genvariationen bewirken können. Doch trotz all der zunehmenden Detailkenntnisse im Experiment dauerte es noch einige Jahre, bis die richtigen theoretischen Konsequenzen gezogen wurden, die sich bis heute als maßgeblich und relevant erwiesen haben. Sie stammen im Wesentlichen von einem jungen Physiker namens Max Delbrück, der bei dem oben erwähnten Vortrag »Licht und Leben« zuhörte, Bohrs Aufforderung ernst nahm und sich konkret an die Arbeit machte. Delbrück stammte aus Berlin, wo er sich seit den frühen dreißiger Jahren mit Genetikern wie Nicolai Timoféef-Ressovsky zusammentun konnte, die angefangen hatten, neben dem Aussehen der Fliege Drosophila auch deren Verhalten zu erkunden. Im Detail wollte man in Berlin Aufbau und Arbeitsweise des Gehirns mit genetischen Mitteln erkunden, und dabei war es tatsächlich gelungen, erste Mutationen aufzuspü-ren, die Störungen bei der Entwicklung oder dem Funktionieren des Nervensystems nach sich zogen. Timoféef-Ressovskys Grundidee bestand darin, dass man komplizierte Systeme vorsichtig zerlegen muss, um sie aus ihren Bestandteilen heraus erkennen zu können. Und er stellte sich vor, dass es kein Messer gibt, das feiner schneidet als eine genetische Mutation, die jetzt ihrerseits durch Röntgenstrahlen induziert werden konnte.
    Delbrück bewunderte dieses Konzept, legte seinen Bemühungen aber einen einfacheren Ansatz zugrunde. Er nahm an, dass die Röntgenstrahlen direkt auf Gene treffen und fragte sich, ob er unter dieser Vorgabe etwas über ihre Größe erfahren könnte. Physiker kennen solche Ansätze unter dem Stichwort »Streuquerschnitt«, und mit dem Rüstzeug seines Faches machte sich Delbrück daran, das zu entwerfen, was damals in Wissenschaftskreisen unter dem Titel »Target Theory« oder »Treffertheorie« bekannt und von vielen umzusetzen versucht wurde. Gene wurden als Targets - als physikalische Zielobjekte - für Röntgenstrahlen verstanden, und die Bemühungen der Physiker drehten sich darum, aus der Wirksamkeit von Strahlungsdosen etwas über die Ausmaße und die Dimensionen der Gene zu erfahren, die zwar nach wie vor unerkannte Gebilde in den Zellen waren, die aber jetzt gezielt in Angriff genommen und auch erreicht werden konnten.
    Mit diesem Ansatz konnte man sich den Genen zwar zum Ersten im Rahmen einer exakten Wissenschaft - der Physik - nähern, doch dieses Bemühen scheiterte, weil damals nur direkte Treffer berücksichtigt wurden, während man heute weiß, dass die Strahlen die Gene mehr indirekt über Veränderungen im Zellmilieu beeinflussen. Geblieben ist von all diesen Bemühungen weniger eine quantitative als vielmehr eine qualitative Auskunft über Gene. Gemeint ist dabei vor allem ein Satz, den Delbrück zusammen mit zwei Kollegen in einer Arbeit aus dem Jahre 1935 publizierte, die unter dem Titel Über die Natur der Genstruktur und der Genmutation erschienen ist. Der Satz lautet: »Ein Gen ist ein Atomverband, der als Einheit unterhalb der Ebene der Zelle existiert.« In dieser Formulierung stecken zwei Erkenntnisse. Zum einen bestehen Gene aus Atomen, sie sind also Moleküle und somit einer physikalisch-chemischen Analyse zugänglich (ohne dass bislang etwas über deren Größe gesagt worden ist). Zum anderen stellen Gene eine eigene Einheit des Lebens dar, die selbständig neben die der Zelle tritt und damit - wie sie -
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