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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens
Autoren: Ernst Peter Fischer
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1909 seine »Elemente der exakten Erblichkeitslehre« veröffentlichte, waren ihm die nach Gregor Mendel benannten Regeln der Vererbung (Erbgesetze) bestens vertraut. Sie lassen sich am leichtesten verstehen, wenn man sich vorstellt, dass es in den Zellen partikuläre Elemente -oder elementare Partikel -gibt, die sie verwirklichen. Der Ausdruck »Elemente« stammt noch von Mendel selbst, der diesen Gebilden eine »lebendige Wechselwirkung« zubilligte, in deren Verlauf die vielfältigen Unterschiede hervortreten, die individuelles Leben ausmachen. Johannsen wollte Mendels Entdeckung durch einen wissenschaftlich fundierten Namen auszeichnen, was konkret bedeutete, dass er ein griechisch klingendes Wort für die Elemente suchte, und so trat das »Gen« auf den Plan, wobei sein Schöpfer festhielt:
    »Das Wort ›Gen‹ ist völlig frei von jeder Hypothese; es drückt nur die sichergestellte Tatsache aus, daß ...viele Eigenschaften des Organismus durch besondere, trennbare und somit selbständige ›Zustände‹, ›Grundlagen‹, ›Anlagen‹ - kurz, was wir eben Gene nennen wollen - bedingt sind.« Johannsen betonte ausdrücklich: »Zur Zeit ist keine Vorstellung über die Natur der ›Gene‹ genügend begründet.« Er bestand darauf, das Gen »nur als eine Art Rechnungseinheit zu verwenden«, und fügte hinzu, niemand habe »das Recht, das Gen als morphologisches Gebilde zu bezeichnen.«
    Das derart postulierte Gen sollte die Grundlage für eine exakte Wissenschaft ergeben, wie der Titel seines Buches nahe legt - das Prädikat »exakt« war bis dahin nur der Physik und der Chemie vorbehalten. Diese beiden Disziplinen gingen nämlich mathematisch vor und operierten mit Zahlenwerten, die aus Messergebnissen stammten. Um ebenso »exakt« werden zu können, benötigte die Genetik ihre eigene »Rechnungseinheit« - eben das Gen -, das man sich unabhängig von den Grundgrößen vorstellte, mit denen etwa die Physik arbeitete. Johannsen und seine Mitstreiter träumten von einer eigenständigen exakten Erblichkeitslehre mit unabhängigen Maßsystemen, die konkurrenzfähig und gleichberechtigt neben Physik und Chemie gestellt werden konnte, ohne jemals in ihr aufzugehen. Anders ausgedrückt: Physiker und Chemiker hatten zunächst nichts auf dem Terrain der Genetik verloren.
    So weit sich die Nachwelt inzwischen von den ursprünglichen Definitionen des Gens entfernt hat, so eng ist sie bei einer Gewohnheit geblieben, die ebenfalls Johannsen einführte: »Wenn wir an eine bestimmte Eigenschaft denken, welche durch ein bestimmtes ›Gen‹ bedingt ist, können wir am leichtesten ›Gen der Eigenschaft‹ sagen, statt umständlichere Phrasen wie ›das Gen, welches die Eigenschaft bedingt‹ zu benutzen.«
    Die schlechte Gewohnheit, die aus dieser guten Absicht erwachsen ist, lässt sich leicht an der Inflation der Begriffskonstruktionen mit einem »für« in der Mitte ablesen - es gibt inzwischen nicht nur Gene für Augenfarben und Körpergröße, es gibt auch Gene für Untreue, für Neugierverhalten, für das Böse und die Lust auf Kartoffelchips. Es gibt - einigen Zeitungen zufolge - Gene für das Leben und das Sterben, und wer will, kann jeden Tag in den Medien neue Zusammenstellungen dieser Art finden, die meist ohne Sinn sind und sich dem öffentlichen Verständnis dessen in den Weg stellen, was die Genetik über den Menschen sagen kann.
    Johannsens heute allen geläufige Bezeichnung für eine Erbanlage greift auf den älteren Ausdruck »Pangen« zurück, der schon im i9.Jahrhundert zirkulierte und einen Gedanken Charles Darwins (1809-1882) aufnahm. Darwins Idee von der verbesserten Anpassung von Lebensformen (Arten) an ihre Umwelt konnte nur funktionieren, wenn die Eigenschaften der Organismen irgendwie von den Zellen abhingen, aus denen sie bestanden (eine Tatsache, die man in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nachgewiesen hatte). Die an die Nachkommen zu übertragenden Qualitäten mussten irgendwie aus sämtlichen Regionen des Körpers in das Samenmaterial gelangen, und um auszudrücken, dass wirklich alle Teile des Organismus an der Hervorbringung beteiligt sind, sprach man von einer Pangenese. Für Darwin und seine Zeitgenossen war die Idee der Pangenese selbstverständlich, der zufolge die Zellen eines Organismus kleine Einheiten abgeben, die Darwin 1868 »Gemmulae« -lateinisch für »Keimchen« -nannte und »welche durch den Körper frei circulieren und welche, wenn sie mit gehöriger Nahrung versorgt
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