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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens
Autoren: Ernst Peter Fischer
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die Bühne der Genetik, der das bald änderte. Er hatte bis dahin Erfahrungen als Embryologe gesammelt und bei seinen zahlreichen Beobachtungen der Formenvielfalt, die von der Natur dabei hervorgebracht wird, die Überzeugung gewonnen, dass es nie und nimmer physikalische Partikel sein konnten, denen wir diese Vielfalt des Lebens verdanken. Gemeint ist Thomas Hunt Morgan (1866-1945), der zunächst an der Columbia Universität in New York versuchte, den Mendelismus zu widerlegen, und dazu einen geeigneten Organismus brauchte. Er sah sich ausführlich im Reich der Biologie um und entschied sich nach langem Suchen für ein winzig wirkendes Insekt, das in den darauf folgenden Jahren zum Star der Genetik wurde und es bis heute geblieben ist. Gemeint ist die Fliege Drosophila melanogaster, die Taufliege oder Fruchtfliege, wie sie auch heißt. Die Liebhaberin des Taus - so die Übersetzung des griechischen Wortes Drosophila - ist nur etwa drei Millimeter lang, und sie verfügt über vier Chromosomen, an denen sich sofort das Geschlecht erkennen lässt, wie in Abbildung 1 gezeigt wird.
    Es kostet wenig Geld und Aufwand, die Fliege Drosophila im Laboratorium in den Mengen zu halten, die für genetische Experimente nötig sind. Dazu reichen Gläser, deren Boden mit einer Schicht aus Maismehl, Hefeextrakt und Zucker gefüllt und durch ein so genanntes Agargel gefestigt wird. Zum Glück kann man Drosophila leicht untersuchen - nach einer Äthernarkose platziert man ein Exemplar unter dem Präpariermikroskop und hat dann einige Minuten Zeit, bevor die Beinchen wieder zu zappeln beginnen. Was aber vor allem wichtig ist: Drosophila verfügt über eine sehr kurze Generationszeit; sie schafft es in zwei Wochen, die Stufen vom befruchteten Eizurgeschlechtsreifen Fliege zu absolvieren. Ein einzelnes Weibchen kann mehrere hundert Nachkommen in die Welt setzen.
    Von 1911 an sammelte Morgan eine Mannschaft zur Erforschung der Fliege um sich, die 1928 von New York an die amerikanische Westküste zog und dort im kalifornischen Pasadena am California Institute of Technology den legendären Fliegenraum einrichtete, den es bis heute gibt (und aus dem bis heute Nobelpreisträger hervorgehen). Zu Morgans ersten Mitarbeitern zählten Calvin Bridges, Alfred Sturtevandt und Hermann Muller, und alle zusammen brachten in den folgenden Jahren das Bild von den Genen zustande, das bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg Bestand hatte. Gemeint ist das Bild, in dem die Gene den Perlen auf einer Kette gleichen. Gene, so stellten Morgan und sein Team eher gegen ihren Willen fest, liegen auf den Chromosomen so hintereinander wie aufgereihte Perlen. Wichtig war nicht zuletzt die Einsicht, dass immer ein Gen hinter dem anderen liegt und keine Verzweigung erschließbar ist. Trotz nahezu unendlich vieler Kreuzungen kam jedes Gen, dessen Position man in Relation zu anderen bestimmen wollte, immer eindeutig zwischen zwei Genen zu liegen, und niemals tauchten widersprüchliche Kombinationen auf, die eine zusätzliche Dimension zur Erklärung nötig machten. Gene waren linear angeordnet wie die Buchstaben in Wörtern und die Wörter in Sätzen.
    Zwar sagte das aufgereihte Perlenspiel mit den Genen nichts über deren chemische Natur aus, aber trotzdem war klar, dass eine Diskrepanz zwischen diesem Ergebnis und Morgans ursprünglicher Zielsetzung bestand. Tatsächlich wurde das Fliegenteam gegen seine Absicht im Verlauf seiner Experimente immer deutlicher darauf gestoßen, dass Mendel Recht und ein Gen eine physikalische Basis im Zellkern haben muss. Johannsens Idee einer reinen Rechnungseinheit machte zwar auch Sinn -aber zu wenig. Die Entdeckung, die Morgan und sein Team machten, bestand im Detail darin, dass sie Genen einen (ihren) Ort in der Zelle zuweisen konnten, wobei sie für den deutschen Ort vornehmer das lateinische locus mit dem Plural loci verwendeten und somit in die Wissenschaftssprache einführten.
    Den ersten Genort - Genlocus - ermittelte Morgan selbst, und zwar mit Hilfe eines Fliegenmännchens, das weiße Augen statt der üblicherweise rot gefärbten hatte. Das auffällige weißäugige Männchen war eines Tages - als Mutante, wie man auch damals schon gesagt hat - in den Gläsern aufgetaucht. Da es sich zunächst um ein einzelnes Exemplar handelte, soll Morgan - so das Gerücht - das Albinowesen wie seinen Augapfel gehütet und sogar mit nach Hause genommen haben. Es gelang ihm zwar bald, das weißäugige Männchen mit einem normalen Weibchen zu
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