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Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy

Titel: Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
Autoren: Pauline Réage
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Wüstenheiligen Gebete gibt. Nicht weniger sorgfältig abgestuft, und wie numeriert - durch kleine Steinchen voneinander getrennt. Es sind nicht immer vergnügte, will sagen, mit Vergnügen verabreichte Foltern. René weigert sich, sie zuzufügen; und wenn Sir Stephen sie vollzieht, so tut er es, wie man eine Pflicht erfüllt. Ganz offensichtlich finden beide Männer keinen Spaß daran. Sie sind keine Sadisten. Ja, alles geht so vor sich, als hätte O allein von Anfang an verlangt, daß man sie züchtige, ihren letzten Widerstand breche.
An dieser Stelle wird irgendein Dummkopf von Masochismus schwatzen. Von mir aus, aber das hat weiter nichts zu sagen, als daß einem echten Mysterium ein falsches zugesellt wird, ein reines Sprach-Klischee. Was heißt Masochismus? Daß der Schmerz zugleich eine Lust ist; und das Leiden eine Freude? Möglich. Es handelt sich dabei um Behauptungen, wie sie bei den Metaphysikern im Schwange sind - so sagen sie zum Beispiel auch, jede Anwesenheit sei eine Abwesenheit; und jedes Wort ein Schweigen - und ich leugne keineswegs (wenn ich sie auch nicht immer verstehe), daß diese Behauptungen ihren Sinn haben mögen, zumindest ihren Nutzen. Aber einen Nutzen, der sich auf keinen Fall aus der bloßen Beobachtung des Falles ziehen läßt, - der mithin nicht Sache des Arztes oder des einfachen Psychologen und schon gar nicht Sache des Dummkopfs ist. - Nein, sagt man mir, es handelt sich zwar um einen Schmerz, den jedoch der Masochist in Lust verwandeln kann; um Leiden, dem er, mittels eines nur ihm bekannten alchemistischen Verfahrens, reine Freude abgewinnt. Welch frohe Botschaft! Somit hätten die Menschen endlich gefunden, was sie so emsig suchten, in der Medizin, in der Moral, in den Philosophien und Religionen: das Mittel, den Schmerz zu vermeiden oder zumindest ihn zu überwinden: ihn zu begreifen (und sei es nur, indem sie in ihm die Auswirkung unserer Dummheit oder unserer Fehler sehen). Besser noch, sie hätten dieses Mittel immer schon gekannt, denn schließlich gibt es Masochisten nicht erst seit gestern. Und daher wundere ich mich, daß man ihnen nicht die größten Ehren erwiesen hat-, daß man nicht versucht hat, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Daß man sie nicht in Paläste geholt und dort in Käfige gesperrt hat, um sie besser beobachten zu können.
Vielleicht stellen die Menschen sich niemals Fragen, die nicht schon längst beantwortet sind. Vielleicht genügte es, wenn man sie miteinander in Kontakt bringen, sie ihrer Einsamkeit entreißen würde (als gäbe es ein einziges menschliches Streben, das nicht reine Schimäre wäre). Nun, hier haben wir wenigstens den Käfig, und in dem Käfig haben wir diese junge Frau. Wir brauchen ihr nur zuzuhören.
III. Ein seltsamer Liebesbrief
    Sie sagt: "Du bist zu Unrecht erstaunt. Betrachte Deine Liebe genauer. Sie wäre entsetzt, wenn sie begreifen würde, daß ich eine Frau bin und lebe. Du wirst die heißen Quellen Deines Blutes nicht zum Versiegen bringen, indem Du sie vergißt."
"Deine Eifersucht täuscht Dich nicht. Sicher, Du gibst mir Glück und Gesundheit und ein tausendfältiges Leben. Aber ich kann nicht verhindern, daß dieses Glück sich sofort gegen Dich kehrt. Auch der Stein singt lauter, wenn das Blut frei strömt und der Körper entspannt ist. Laß mich doch in diesem Käfig und gib mir kaum Nahrung, wenn Du es wagst. Alles, was mich der Krankheit und dem Tod näher bringt, macht mich treu. Und nur dann, wenn Du mir Schmerzen zufügst, bin ich nicht gefährdet. Du hättest Dich nicht bereitfinden dürfen, für mich ein Gott zu sein, wenn die Pflichten der Götter Dir Angst machen, jeder weiß, daß SIE nicht weichherzig sind. Du hast mich schon weinen sehen. Nun mußt Du noch Geschmack an meinen Tränen finden. Ist mein Hals nicht reizend, wenn er sich gegen meinen Willen bäumt und an einem Schrei erstickt, den ich zurückhalte. Es ist nur zu wahr, daß man die Peitsche nicht vergessen darf, wenn man zu uns geht. Und bei manchen bedürfte es sogar der neunschwänzigen Katze."
Sie fügt sofort hinzu: "Welch dummer Scherz. Aber Du begreifst auch nichts. Wenn ich Dich nicht wirklich lieben würde, glaubst Du, daß ich dann wagte, so zu Dir zu sprechen und meinesgleichen zu verraten!"
Und sagt dann: "Meine Phantasie, meine flüchtigen Träume, werden dauernd zum Verräter an Dir. Nimm mir die Kraft. Befreie mich von diesen Träumen. Liefere mich aus. Sorge dafür, daß ich nicht einmal die Zeit habe, daran zu denken, daß ich
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