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Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy

Titel: Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
Autoren: Pauline Réage
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zögern, sich lächerlich zu machen. Am besten gestehe ich sogleich ein, daß ich mich hier auf fremdem Gelände bewege. Ich taste mich durch die Geschichte der O wie durch ein Märchen - die Märchen sind bekanntlich die erotischen Romane der Kinder -, wie durch eines jener Märchenschlösser, die gänzlich verlassen scheinen, in denen jedoch die Sessel unter ihren Hüllen und die Taburetts und die Himmelbetten sorglich abgestaubt und die Peitschen und Reitstöcke ohnehin, sozusagen von Natur aus, blitzblank sind. Nicht die Spur von Rost an den Ketten, kein Schmutzhauch an den buntfarbenen Glasscheiben. Sooft ich an O denke, kommt mir spontan ein Wort in den Sinn: das Wort Anstand. Ein Wort, das zu schwierig zu begründen wäre. Lassen wir es also. Und dieser Wind, der unaufhörlich bläst, der durch alle Gemächer streicht. Es weht auch in O ein undefinierbarer Geist, rein und heftig, ohne Pause, ohne Beimischung. Ein entschiedener Geist, der vor nichts scheut, weder vor Seufzer noch Greuel, weder vor Ekstase noch Ekel. Wenn ich ehrlich sein soll, mein Geschmack geht zumeist in eine andere Richtung: ich mag die Werke, deren Autor gezögert hat; bei denen eine gewisse Befangenheit verrät, daß das Sujet ihn zunächst eingeschüchtert hat; daß er bezweifelt hat, ob er jemals damit zurechtkommen würde. Die Geschichte der O dagegen ist von Anfang bis Ende durchgeführt wie ein bravouröses Gefecht. Man denkt eher an eine Rede, als an einen gewöhnlichen Herzenserguß; eher an einen Brief, als an ein Tagebuch. Doch an wen ist der Brief gerichtet! Doch wen will die Rede überzeugen! Wen soll ich danach fragen! Ich weiß nicht einmal wer Sie sind.
Daß Sie eine Frau sind, bezweifle ich kaum. Nicht so sehr wegen der Details, bei denen Sie so gern verweilen, den grünseidenen Kleidern, den Wespentaillen und Röcken, die sich hochrollen lassen (wie Haarsträhnen auf einen Lockenwickler). Vielmehr: weil O, in dem Augenblick, als René sie wieder ihren Peinigern überläßt, noch klar genug denkt, um festzustellen, daß die Pantoffeln ihres Geliebten abgetreten sind, er muß sich neue kaufen. So etwas scheint mir kaum vorstellbar. Darauf wäre ein Mann niemals gekommen, und wenn, so hätte er es nicht zu sagen gewagt.
Und doch stellt O, auf ihre Weise, ein männliches Ideal dar, jedenfalls ein Männerideal. Endlich eine Frau, die es zugibt! Die was zugibt! Das, wogegen die Frauen sich allezeit gewehrt haben (und niemals heftiger, als heute). Das, was die Männer aller Zeiten ihnen vorgeworfen haben: daß sie immer nur ihrem Blut gehorchen; daß alles an ihnen Sexus ist, sogar der Verstand. Daß man sie unaufhörlich füttern müßte, unaufhörlich waschen und schminken, unaufhörlich prügeln. Daß sie einfach einen guten Herren brauchen, und zwar einen, der sich hütet vor seiner Güte: denn sobald wir unsere Güte zeigen, beziehen sie daraus allen Elan, alle Freude, alle Leichtigkeit, die sie brauchen, um sich von anderen lieben zu lassen. Kurz, daß man die Peitsche mitnehmen muß, wenn man zu ihnen geht. Es gibt wenige Männer, die nie davon träumten, eine Justine zu besitzen. Doch keine einzige Frau hat bisher, soviel ich weiß, davon geträumt, eine Justine zu sein. Jedenfalls nicht laut davon geträumt, mit soviel Stolz auf Klagen und Tränen, soviel stürmischer Gewalttätigkeit, soviel Leidensgier und soviel Willenskraft, die sich bis zum Bersten spannt. Eine Frau, sicher, aber eine Frau, die etwas von einem Ritter, von einem Kreuzfahrer hat. Als trügen Sie beide Naturen in sich oder als wäre der Adressat des Briefes Ihnen in jedem Augenblick so gegenwärtig, daß Sie seine Neigungen und seine Stimme annehmen. Aber welche Frau, und wer sind Sie?
Wie dem auch sei, die Geschichte der O kommt von weither. Ich spüre darin vor allem diese Ruhe und den Abstand, den eine Erzählung gewinnt, wenn ihr Autor sie lange mit sich herumgetragen hat. Wer ist Pauline Réage? Einfach eine Träumerin, wie es viele gibt? (Es genügt, sagt man, auf sein Herz zu hören. Hier ist ein Herz, das vor nichts zurückschreckt.) Eine Dame mit Erfahrung, die das alles selbst erlebt hat? Die es erlebt hat, und sich wundert, daß ein Abenteuer, das so gut begann - oder zumindest so ernsthaft: mit Askese und Züchtigung - schlecht ausgeht und in einer ziemlich zweifelhaften Buße endet, denn schließlich, darüber sind wir uns einig, bleibt O in dieser Art Bordell, wohin die Liebe sie gebracht hat-, sie bleibt dort, und hat es dabei garnicht
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