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Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy

Titel: Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
Autoren: Pauline Réage
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Dir untreu bin. Doch laß mich zuerst mit Deiner Nummer zeichnen. Wenn ich die Spur Deiner Peitsche trage oder Deine Kette oder diese Ringe an meinen Lippen, dann muß allen klar sein, daß ich Dir gehöre. Solange man mich in Deinem Namen schlägt und mich schändet, bin ich nur, was Du denkst, was Du wünschst, was Du begehrst. Und genau das wolltest Du, glaube ich. Ich liebe Dich, und deshalb will ich es auch."
"Wenn ich endgültig aufgehört habe, ich selbst zu sein, wenn mein Mund und mein Leib und meine Brüste nicht mehr mir gehören, dann werde ich zu einem Wesen aus einer anderen Welt, wo alles einen anderen Sinn hat. Eines Tages weiß ich vielleicht nichts mehr von mir. Was ist mir von nun an die Lust, was sind mir die Liebkosungen so vieler Männer, Deiner Abgesandten, die ich nicht unterscheiden - nicht mit Dir vergleichen kann?"
So spricht sie. Ich höre ihr zu und merke sehr wohl, daß sie nicht lügt. Ich versuche ihr zu folgen (die Prostitution hat mir lange zu schaffen gemacht). Es ist schließlich möglich, daß die lodernde Tunika der Mythologien nicht eine simple Allegorie ist; noch die kultische Prostitution eine Kuriosität der Geschichte. Es ist möglich, daß die Refrains der Liebeslieder und die "ich bin sterblich in dich verliebt" keine simplen Metaphern sind. Noch, was die Huren zu ihren Auserwählten sagen: "Ich bin verrückt nach dir, mach mit mir, was du willst." (Merkwürdig, wenn wir uns von einem Gefühl befreien wollen, das uns verwirrt, dann sprechen wir dieses Gefühl den Ganoven zu, den Prostituierten.) Es ist möglich, daß Heloise, als sie an Abälard schrieb: "Ich werde Dein Freudenmädchen sein", nicht einfach nur eine hübsche Phrase machen wollte. Sicher ist die Geschichte der O der heftigste Liebesbrief, den ein Mann je erhalten hat.
Ich erinnere mich an jenen Holländer, der so lange auf den Meeren herumirren muß, bis er ein Mädchen findet, das bereit ist, ihr Leben zu verlieren, um seines zu retten; und an den Ritter Guigemar, der, um von seinen Wunden zu genesen, auf eine Frau wartet, die für ihn leidet "wie nie eine Frau gelitten hat". Natürlich ist die Geschichte der O länger als ein Liebeslied und ausführlicher als ein einfacher Brief. Vielleicht mußte man auch weiter dazu ausholen. Vielleicht war es noch nie so schwierig, auch nur zu begreifen, was die Jungen und Mädchen von der Straße sagen: wahrscheinlich das gleiche, wie die Sklaven von Barbados. Wir leben in einer Zeit, in der die einfachsten Wahrheiten sich uns nur dann nackt (wie O) präsentieren können, wenn sie eine Käuzchenmaske aufhaben.
Denn völlig normale und selbst vernunftbegabte Leute sprechen gern von der Liebe als von einem spielerischen Gefühl, das man nicht ernst nehmen muß. Man sagt, daß es viel Vergnügen verschafft, und daß der Kontakt zweier Epidermen nicht ganz ohne Reiz ist. Man sagt, daß der Reiz oder das Vergnügen sich dem voll erschließen, der es versteht, der Liebe ihren willkürlichen Charme, ihre Kapriziosität, eben ihre natürliche Freiheit zu bewahren. Von mir aus, wenn es Menschen verschiedenen (oder auch gleichen) Geschlechts so leicht fällt, einander Lust zu verschaffen, dann sollen sie sich nur ja nicht genieren. Nur ein oder zwei Wörtchen geben mir dabei zu denken: das Wort Liebe und auch das Wort Freiheit. Natürlich trifft das Gegenteil zu. Liebe bedeutet Abhängigkeit - nicht nur in ihrem Vergnügen, in ihrer Existenz und in dem, was vor der Existenz kommt: in dem Wunsch, zu existieren - von fünfzig wunderlichen Dingen: von zwei Lippen (und von der Grimasse oder dem Lächeln, zu dem sie sich verziehen), von einer Schulter (von der Art, wie sie sich hebt oder senkt), von zwei Augen (von einem Blick, der ein wenig weicher, ein wenig härter ist), schließlich von einem ganzen fremden Körper, mit dem Geist oder der Seele, die in ihm sind - von einem Körper, der in jedem Augenblick strahlender als die Sonne werden kann, eisiger als eine Schneefläche. Es ist keine Freude, das alles an sich zu erfahren, dagegen kommen Ihre Martern mir lächerlich vor. Man zittert, wenn dieser Körper sich bückt, um das Band eines kleinen Schuhs zu knüpfen, und es scheint, daß jeder einem ansieht, wie man zittert. Lieber die Peitsche und die Ringe im Fleisch! Was die Freiheit anlangt... Jeder Mann oder jede Frau, die sie an sich erfahren haben, dürften sich dagegen auflehnen, sie mit Schimpf und Greuel bedrohen. Sicher, es fehlt nicht an Greuel in der Geschichte der O.
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