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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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umschlungen sah der Abend
sie, als er im Moor versank,
und der Grillen helles Zirpen
ward zum Hochzeitsfestgesang.
    Und des Mondes fahles Locken
füllte ihre Seelen nicht.
In den Blüten schmolz das Silber,
denn die Liebe ward ihr Licht.
    Und unter diesen Versen stand der aufschreiende, gequälte Satz:
    »Zum Abschied von Jeanette, von der Weite, der Sehnsucht, von allem, was irdisch und menschlich ist – André Tornerre, der Einsame.«
    »Sie müssen ihn finden«, flüsterte Yvonne vor sich hin. »Sie müssen ihn retten … ich liebe ihn doch … er darf nicht so enden, er kann so nicht gehen … nein … das kann er nicht.«
    Ächzend stand sie auf, indem sie sich am Tisch hochzog, verließ das Zimmer, ging in den Garten und blickte empor zum Nachthimmel. Im bleichen Licht des Mondes schimmerte ihr Haar, das wie ein Kranz um ihr Gesicht lag.
    Durch Carpentras, über Felder und Hügel geisterten die Lichter der Suchenden, und ihr Ruf »André, André …!« hallte durch die Nacht. Im Staub des Glockenstuhls lag ein alter Mann, der langsam wieder zu sich kam. Ein Priester lief und holte kaltes Wasser und Cognac, um ihn innerlich zu laben und äußerlich zu benetzen. Eine Mutter nahm zum Gebet den Platz des Geistlichen am Altar ein.
    Irgendwo, abseits aller Rufe, saß ein Knabe neben einer schwach brennenden Lampe, hielt ein Papier auf den Knien und schrieb. Dann erhob er sich und nahm die Lampe auf, als wolle er gehen.
    Es war der Augenblick, in dem der Blitz eines fernen Gewitters fahl aufleuchtete und den Himmel zerriß. Leise grollender Donner folgte dem Blitz erst nach langem.
    *
    Klick … klick … klick … tropfte es noch immer in der hinteren Ecke von der Decke der alten Kapelle auf die steinernen Fliesen, und der Modergeruch alter Zeiten und die abgestandene Luft legten sich wieder beklemmend auf die Brust André Tornerres. Die Lampe mit dem Glassturz flackerte, und der rotgelbe Schein des getrübten Lichts geisterte über die roh behauenen Steine der Winkel und Ecken, spielte mit den Konturen der Säulen und des kleinen Kreuzgewölbes und schloß in sein Spiel mit ein das in der Mitte stehende Taufbecken, vor das André seinen zusammenklappbaren Feldstuhl gestellt hatte, mit dem die Krypta von ihm schon lange ausgestattet worden war. Eng beschriebenes Papier und ein Stift lagen auf dem breiten Rand des Beckens, und die Augen des Jungen, der jetzt mit der Laterne vor das kaum noch erkennbare Mosaik des Ritters trat, lebten noch fern in den weiten Räumen des Geistes und des göttlichen Traumes.
    Vorsichtig, damit die Lampe keinen Schaden erlitt, stellte er sie unter das verfallene Bild, zog den Stuhl heran, setzte sich und stützte den Kopf in beide Hände, während er unentwegt den Ritter und den auf seine Fahne geschriebenen Spruch anstarrte.
    Das Rufen der Suchenden auf den Straßen hatte sich entfernt, die Glocke schwieg, und die stille Einsamkeit in der dumpfen Modergruft hüllte den Jungen ein, als sei er ein Leichnam, dem die Gnade zuteil geworden war, jenseits der Grenze des Todes noch denken zu dürfen.
    Klick … klick … klick … tropfte es eintönig, einschläfernd – und dennoch aufpeitschend, erregend von der Decke … klick … klick … immer böser, immer nervtötender, immer wahnsinniger, je länger sich der monotone Ton zu einer Kette reihte, die den Geist erwürgte.
    »Ich bin zurückgekommen, Freund«, sagte André leise und strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über den Ritter. »Ich hatte es dir einst versprochen. Nun bin ich hier, und draußen, fern von uns, liegt die Welt und berührt uns nicht mehr. Wir haben sie überwunden, sie ist uns fremd geworden, indem sie uns ihr wirkliches Gesicht enthüllte. Sie ist nur ein Greuel, weil sie zeigte, was sie weltlich nennt. Spernere mundum – verachte die Welt, sagtest du einst. Ich wollte dir nicht folgen, denn zu lieben schien mir höher. Doch was ist Liebe, diese Form der Liebe, welche die Welt in Fesseln schlägt? Verachtung, Freund, Verachtung aller Würde, Abkehr vom Ideal der Harmonie, Mechanisierung allen Lebens nach dem Dogma, daß der Mensch das Höchste, Größte dieser Erde ist. Verachte dich selbst, sagtest du weiter. Oh, verachte ich mich nicht, indem ich lächle, wo ich weinen sollte, indem ich Götter lobe, deren Sitze wanken, und Herren diene, deren Frevel alle Maße sprengt? Verachte ich mich nicht, indem ich liebe, um der Sehnsucht meines Blutes Weite, Kraft und Licht zu geben, wobei ich genau weiß, daß nichts
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