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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Julien Bonnet entsetzt auf.
    »Doch«, wiederholte der Küster, und seine Frau Yvonne, die bisher nur dagesessen und leise geweint hatte, nickte bestätigend.
    Bonnet rang die Hände. »Und ich dachte, das sei nur ein vorübergehender Aufbewahrungsort.« Warum er das dachte, wußte er selbst nicht. »Sind Sie sich denn darüber im klaren, was Sie da gemacht haben, Monsieur Tornerre?«
    »Schon, aber …«
    »Nichts hier ist diebstahl- oder feuersicher, abgesehen von allem anderen!«
    »Ich kann mir keinen Banktresor leisten. Ich bin ein mittelloser Mann.«
    Bonnet lachte auf.
    »Was sind Sie? Mit solchen Schätzen nennen Sie sich einen mittellosen Mann? Sie machen Witze!«
    Witze machte der weltfremde Literarhistoriker, der keine Ahnung vom realen Leben hatte.
    »Wissen Sie, was ein Küster verdient?« fragte ihn Tornerre.
    »Aber Sie hätten doch nur eines Ihrer Lieder zu verkaufen brauchen!«
    »An wen?«
    »An mich zum Beispiel.«
    »Erstens kannte ich Sie nicht, und zweitens – verkaufen? Dazu waren sie mir viel zu kostbar. Um keinen Betrag der Welt hätte ich auch nur eines hergegeben.«
    »Aber jetzt wollen Sie sie doch alle hergeben?«
    »Um unseren Sohn zu retten, das ist etwas ganz anderes.«
    Endlich verstummte Bonnet, und in seiner Verwirrung irrte sein Blick ab zum Fenster, wo er wieder das Zurückzucken eines Gesichts an der Scheibe zu entdecken vermeinte. Yvonne Tornerre schaute durch ihren Tränenschleier ihren Mann für seine Opferbereitschaft dankbar an.
    Während der Gesprächspause, die entstanden war, gelang es Julien Bonnet, sich einzureden, daß ihn die Vorsehung dazu bestimmt habe, eine nationale Pflicht zu erfüllen. Ein Kulturschatz mußte gerettet werden. Die unschätzbaren Originale seien hier, eröffnete er dem Küsterehepaar, außerordentlich gefährdet.
    »In jeder Beziehung«, bekräftigte er, als Marcel Tornerre nur widerstrebend genickt hatte. »Ich bin deshalb bereit, auf Ihr Angebot einzugehen, Monsieur.«
    Und plötzlich war es um die Fassung des alten Küster geschehen. Er sah sich am Ziel, die Anspannung in ihm löste sich, und das wurde deutlich in einem Zusammenbruch, der ganz lautlos und deshalb um so erschütternder vor sich ging. Das Haupt des unglücklichen Mannes sank herab, er stützte die Stirn in seine Hände, um die Tränen zu verbergen, die still nun auch bei ihm flossen. Sie tropften auf den Tisch, und deshalb gelang es ihm nicht, sie zu verstecken.
    Draußen vor dem Fenster löste sich eine zusammengekauerte Gestalt von der Mauer und sprang leise von der herangezogenen Gartenbank herunter. Auf dem Sand, der seine Schritte dämpfte, stehend, blickte André Tornerre noch einmal auf das Haus zurück, nahm dann eine Lampe aus einem Gebüsch, mit der er schon immer in die alte Kapelle gegangen war, strich sich die Haare aus der Stirn und zögerte einen Moment, ehe er sich endgültig abwandte und, fast gleitend, auf Zehenspitzen aus dem Garten schlich. Draußen huschte er über den im fahlen Mondlicht träumenden Marktplatz und tauchte in Richtung des Tergnierschen Hauses im Schatten der Gassen unter.
    Dort angelangt, stellte er sich unter das geöffnete Fenster Jeanettes, nahm einige zusammengefaltete Blätter aus der Tasche, wickelte sie um einen Stein und warf sie mit sicherem Schwung in das Zimmer Jeanettes hinein. Dann wartete er im Schatten einer Zypresse, bis im Zimmer Licht entzündet wurde, und glitt dann wieder in die Dunkelheit zurück, eilte der Kirche zu und verschwand unter den hohen Bäumen des Marktes in der Nacht.
    Im Zimmer des Küsters hatte sich Marcel Tornerre inzwischen wieder gefunden und saß jetzt ein wenig steif und sich seiner Schwäche sichtlich schämend vor Julien Bonnet, der nun erklärte, daß er eine schriftliche Vereinbarung durchsprechen wolle, die hier unbedingt getroffen werden müsse.
    »Punkt eins«, begann er, »wird sein, daß Sie alle Rechte auf die Lieder an mich abtreten …«
    Tornerre nickte.
    »Dafür verpflichte ich mich – Punkt zwei –, Ihren Sohn, um es hart auszudrücken, reinzuwaschen und dafür Sie ans Messer zu liefern.«
    »Ja.«
    »Punkt drei: Sie versichern, daß das Ihr ausdrücklicher eigener Wunsch ist.«
    »Jawohl.«
    »Und Sie versichern auch – Punkt vier –, daß ich mich mit Händen und Füßen gegen diese ganze Vereinbarung gesträubt habe und erst darauf eingegangen bin, als Sie klar vor Augen hielten, daß nur so die Kulturwelt vor einem unschätzbaren Verlust zu bewahren sei.«
    Marcel Tornerre
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