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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6
Autoren: Arkady Strugatsky
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zu mir ins Zimmer. Sie trug ein langes graues Nachthemd und hielt einen Teller in den Händen, und im Nu verbreiteten sich im Zimmer keine erdachten, sondern ganz reale Wohlgerüche. Die Alte lächelte. Sie stellte den Teller vor mir auf den Tisch und flötete mit honigsüßer Bassstimme: »Iss nur, Alexander Iwanowitsch, iss, mein Guter, was Gott dir beschert, empfange es aus meinen Händen …«
    »Nicht doch, Naina Kiewna«, murmelte ich. »Wozu die Umstände …«
    Aber schon hielt ich eine Gabel mit beinernem Griff in der Hand und machte mich über das Essen her. Die Alte stand neben mir, nickte vor sich hin und murmelte freundlich: »Iss, mein Guter, lass es dir schmecken …«
    Ich aß den ganzen Teller leer. Heiße Kartoffeln mit zerlassener Butter.
    »Naina Kiewna«, begann ich inbrünstig, »Sie haben mich vor dem Hungertod bewahrt.«
    »Fertig?«, brummte sie.
    »Es hat wunderbar geschmeckt. Tausend Dank! Sie können sich gar nicht vorstellen …«
    »Was gibt’s da groß vorzustellen?«, fuhr sie mich auf einmal gereizt an. »Bist du endlich fertig? Dann gib den Teller her. Los, gib den Teller her, sag ich!«
    »Bi… bitte«, stotterte ich.
    »›Bitte, bitte‹! … Für ein Bitteschön soll man euch alle durchfüttern!«
    »Ich kann Ihnen das Essen bezahlen«, sagte ich beleidigt.
    »›Bezahlen, bezahlen‹ …« Sie schlurfte zur Tür. »Und wenn das alles unbezahlbar ist? Hättest du mal lieber nicht geschwindelt.«
    »Geschwindelt? Wieso?«
    »Jawohl, geschwindelt! Du hast gesagt, du lutschst nicht an den Zähnen.« Sie verstummte und verschwand hinter der Tür.
    Was hat sie bloß?, dachte ich. Eine komische Alte … Ob sie das abgerissene Garderobenbrett bemerkt hat? Ich hörte, wie sie sich murrend im Bett hin und her wälzte; wieder quietschten die Sprungfedern. Dann stimmte sie leise ein barbarisches Lied an: »Ach, wie ist mir, ach, wie wird mir – schwer im Magen liegt mir der Iwanuschka …« Durchs Fenster wehte nächtliche Kühle. Ich fröstelte und stand auf, um mich wieder aufs Kanapee zu legen, als mir plötzlich einfiel, dass ich vor dem Zubettgehen den Riegel vorgeschoben hatte. Verwirrt trat ich an die Tür und tastete mit der Hand nach dem Riegel. Kaum berührten meine Finger das kalte Eisen, als mir alles vor den Augen verschwamm … Dann merkte ich, dass ich, die Nase ins Kissen gedrückt, auf dem Kanapee lag und mit den Fingern über die kalte Balkenwand tastete.
    Eine Zeit lang lag ich ganz steif da, bis mir klarwurde, dass hinter der Wand die Alte schnarchte und in meinem Zimmer gesprochen wurde. Jemand dozierte halblaut: »Der Elefant ist das größte aller Erdentiere. An seinem Kopf sitzt ein gro ßer fleischiger Auswuchs, den man Rüssel nennt, weil er hohl und lang ist wie ein Rohr. Diesen Rüssel kann der Elefant nach Belieben strecken und zusammenrollen, er gebraucht ihn wie eine Hand …«
    Ganz unruhig vor Neugier, drehte ich mich vorsichtig auf die rechte Seite. Das Zimmer war genauso leer wie zuvor. Die Stimme fuhr in noch belehrenderem Ton fort: »Wein, in Maßen genossen, wirkt außerordentlich anregend auf den Magen; trinkt man jedoch zu viel davon, so erzeugt er Dämpfe, die den Menschen mit dem unverständigen Vieh auf eine Stufe stellen. Sie haben bestimmt schon Trinker gesehen und werden sich an den Abscheu erinnern, den Sie ihnen gegenüber zu Recht empfanden …«
    Ich setzte mich mit einem Ruck auf und schob die Beine vom Kanapee. Die Stimme verstummte. Mir schien, sie sei von draußen gekommen. Im Zimmer war alles unverändert, sogar das Garderobenbrett hing ordentlich an der Wand. Und erstaunlicherweise hatte ich schon wieder Hunger.
    »Tinctura ex vitro antimonii«, erklärte eine andere Stimme. Ich fuhr zusammen. »Magisterium antimon angeli salae. Basilii oleum vitri antimonii alexiterium antimoniale!« Unüberhörbares Kichern ertönte. »Was für ein Unfug«, sagte eine Stimme, um dann heulend fortzufahren: »Gar bald schon werden diese noch ungeöffneten Augen die Sonne nicht mehr sehen, doch lass nicht zu, dass sie sich schließen, bevor ich die barmherzige Botschaft empfange, dass mir Verzeihen und Seligkeit zuteil werden wird …Selbiges ist ›Der Geist, oder die moralischen Betrachtungen des berühmten Young, seinen Nachtgedanken entnommen‹. Für zwei Rubel mit Pappdeckel in Sweschnikows Buchhandlung zu St. Petersburg und Riga erhältlich.« Jemand schluchzte auf. »Auch so ein Schwachsinn«, klagte eine Stimme und deklamierte dann
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