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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6
Autoren: Arkady Strugatsky
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Roman.
    Wir gingen um die Eiche herum zum Hintereingang. Roman stieß eine mit Kunstleder bespannte Tür auf, und wir gelangten in einen geräumigen und sauberen, aber schlecht beleuchteten Flur. Die Alte hatte die Hände über dem Bauch gefaltet und erwartete uns mit verkniffenem Mund. Als sie uns erblickte, brummte sie rachsüchtig: »Aber das Scheinchen, das krieg ich gleich! Und dass mir da ja draufsteht: Das und das hab ich von der und der erhalten, die dem Unterzeichnenden Obiges übergeben hat …«
    Roman heulte leise auf, und wir gingen in das für mich vorgesehene Zimmer. Es war ein kühler Raum mit einem Fenster; davor hing ein Kattunvorhang. Roman sagte mit gepresster Stimme: »Machen Sie es sich bequem, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.«
    Sofort erkundigte sich die Alte argwöhnisch aus dem Flur: »Und er lutscht auch wirklich nicht an den Zähnen?«
    Roman bellte zurück, ohne sich umzudrehen: »Nein! Ich sag Ihnen doch: Er hat gar keine Zähne.«
    »Dann komm jetzt mit, und stell das Scheinchen aus.«
    Roman zog die Brauen hoch, verdrehte die Augen, fletschte die Zähne und schüttelte den Kopf, ging aber hinaus. Ich sah mich im Zimmer um. Es war nur spärlich möbliert. Am Fenster stand ein massiver Tisch mit einer abgenutzten grauen Fransendecke, und an den Tisch war ein wackliger Hocker gerückt. Entlang der kahlen Balkenwand befand sich ein breites Kanapee und an der gegenüberliegenden, mit unterschiedlichen Tapetenstücken beklebten Wand ein Garderobenbrett mit altem Plunder (daran hingen Wattejacken, abgewetzte Pelze, zerfledderte Schirm- und Fellmützen). Ins Zimmer ragte ein frisch geweißter russischer Ofen, und im Winkel gegenüber hing ein großer trüber Spiegel in einem abblätternden Rahmen. Die mit gestreiften Läufern belegten Dielen waren abgezogen.
    Hinter der Wand hörte man zweistimmiges Gemurmel: Während die tiefe Stimme der Alten immer in derselben Tonlage blieb, klang Romans Stimme bald laut, bald leise.
    »Eine Tischdecke, Inventarnummer zweihundertfünfundvierzig …«
    »Warum schreiben Sie nicht jedes Dielenbrett einzeln auf?«
    »Ein Esstisch …«
    »Tragen Sie den Ofen auch ein?«
    »Ordnung muss sein … ein Kanapee …«
    Ich trat ans Fenster und zog den Vorhang zurück. Außer der Eiche war nichts zu sehen. Ich heftete meinen Blick auf den Baum, der schon sehr alt sein musste. Er hatte eine graue, leblos wirkende Rinde, und die mächtigen, aus der Erde ragen den Wurzeln waren mit roten und weißen Flechten bedeckt.
    »Vergessen Sie nicht, die Eiche aufzuschreiben!«, hörte ich Roman hinter der Wand sagen.
    Auf dem Fensterbrett lag ein dickes, speckiges Buch. Ich blätterte gedankenlos darin, trat dann vom Fenster zurück und setzte mich aufs Kanapee. Sofort wurde ich schläfrig. Mir fiel ein, dass ich an diesem Tag vierzehn Stunden hinter dem Lenkrad gesessen und mich, wie es schien, völlig umsonst so beeilt hatte; ich fühlte, dass mir der Rücken weh tat und der Kopf schwirrte, und dachte, dass mir diese lästige Alte letzten Endes gestohlen bleiben konnte, dass das Ganze hoffentlich bald ein Ende nahm und ich endlich alle viere von mir strecken konnte …
    »Also«, hörte ich Roman von der Tür her sagen. »Die Formalitäten hätten wir erledigt.« Er spreizte die mit Tinte beklecksten Finger. »Die Hände sind müde, sie haben geschrieben und geschrieben … Sascha, legen Sie sich schlafen. Wir gehen jetzt, und Sie können sich ausruhen. Was machen Sie morgen?«
    »Warten«, antwortete ich träge.
    »Wo?«
    »Hier. Und an der Post.«
    »Morgen fahren Sie doch noch nicht weiter?«
    »Wahrscheinlich nicht. Eher übermorgen.«
    »Dann sehen wir uns also noch, und es liegt noch alles vor uns.« Er lächelte, winkte mir zu und ging. Ich dachte träge, dass ich ihn hinausbegleiten und mich auch von Wolodja verabschieden müsste, legte mich aber hin. Sofort kam die Alte ins Zimmer. Ich stand auf. Sie musterte mich eingehend.
    »Ich hab bloß Angst, mein Guter, dass du an den Zähnen lutschst«, meinte sie besorgt.
    »Ich lutsche nicht an den Zähnen«, sagte ich müde. »Ich will schlafen.«
    »Dann leg dich hin, und schlaf. Bezahl fürs Nachtlager, und schlaf dich aus.«
    Ich langte in die Hosentasche und angelte nach der Brieftasche. »Was bekommen Sie?«
    Die Alte blickte zur Decke hoch. »Einen Rubel fürs Zimmer. Einen halben Rubel für die Bettwäsche – die gehört nämlich mir. Macht für zwei Nächte drei Rubel. Und was du von dir aus – für die
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