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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer
Autoren: Manuel Andrack
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Vater gemacht, und dann sind wir zügig weitergegangen. Man rastet ja nicht schon nach einer Viertelstunde!
    Doch keine 45 Minuten später hatten wir Hunger. Es musste eine Bank her. Auf der ersten Bank prangte ein Messingschildchen: Gestiftet von einem langjährigen Gast aus Köln-Müngersdorf. Schau an! Hier hätten wir uns gerne hingesetzt, doch die Bank stand in der Sonne. Also, weiter. Nach einem Kilometer kam wieder so eine Sonnenbank. Das ist ja im Winter ganz schön, aber nicht in der Mittagshitze eines Junitags.
    Erst in einem kleineren Nadelwaldstück entdeckten wir unsere Traumbank. Schattig gelegen mit Blick aufs Tal, allerdings wackelte die Rückenlehne, und die Sitzfläche war verdreckt. Aber wozu hatte ich den Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dabei? Der Wirtschaftsteil war auseinander gefaltet |32| schön groß und diente als praktische Sitzunterlage.
    Das ist mein Vater und im Hintergrund das Gemündener Maar
    Ich packte mein Käsebrötchen aus und fing an zu essen. Neidisch blickte ich zu meinem Vater hinüber, denn er hatte picknicktechnisch viel, viel mehr zu bieten. Meine Mutter hatte ihm drei selbst gebackene Vollkornbrötchen mit vegetarischer Schmierwurst und Brie eingepackt. Außerdem gab es ein süßes Brot mit Butter, zwei gekochte Eier, einen Apfel in vier Teile geschnitten, eine Banane und Bitterschokolade, selbstverständlich fair gehandelt. Mein Vater teilte mit mir. Als wir die Reste zusammenpackten, fehlte plötzlich ein weißes Drahtbändchen. Ein Drahtbändchen, das dazu diente, die Tüte mit den Vollkornbrötchen sorgfältig zu verschließen, damit alles frisch blieb. Und bevor dieses Bändchen nicht |33| gefunden war, konnte es nicht weitergehen. Also suchten wir. Ich habe es schließlich auf dem Wirtschaftsteil der FAZ gefunden, und wir machten uns auf Richtung Manderscheid.
     
    Meinen Vater habe ich immer als sehr schnellen Zu-Fuß-Geher erlebt. Ob auf dem Weg zur Straßenbahn, beim sonntäglichen Kirchgang übers Feld oder zum Stadion, mein Vater raste voran. Mit 45 Jahren fing er an zu laufen. Doch kurz vor seinem ersten Marathon musste er wegen heftiger Kniebeschwerden das Laufen aufgeben. Ein Wanderer ist mein Vater aber immer noch. Ungefähr einmal im Monat nimmt er zusammen mit meiner Mutter an organisierten Wanderungen teil. Der langjährige Nachbar meiner Eltern veranstaltet seit 21 Jahren für den Kolpingverein Wanderungen durch Eifel und Bergisches Land. Die große Runde ist 14 Kilometer lang, und für die Fußkranken gibt es als Alternative einen 7-Kilometer-Weg. Meine Eltern gehören bei diesen Wanderungen immer zu den Jüngsten.
    Auf dem Lieserpfad schonte sich mein Vater und zog ein gemächliches Tempo vor. Es war ihm wohl doch zu heiß. Kurz nach unserer Picknickpause erreichten wir die Üdersdorfer Mühle. Die Mühle liegt etwas abseits, und eine große Tafel direkt am Wegesrand warb für hausgemachten Apfelsaft und Wein, Hausmacher Blut- und Leberwurst, Honig aus eigener Imkerei und Rindfleisch aus eigener Zucht und Schlachtung.
     
    Wer nicht von einer Einkehr in der Üdersdorfer Mühle überzeugt war, für den gab es ein Gedicht:
     
    |34| »Dein Weg ist noch drei Stunden weit
    Auf deiner Tour nach Manderscheid
    Erfrischung tut gewiss noch Not
    Nimm Eierkost und Eifelbrot
    Auch für den Durst bekommst du hier
    Milch, Selterswasser, Fassbier
    Dann scheint der Weg dir halb so weit
    Der Lieser lang nach Manderscheid«
     
    Schade, dass wir satt waren. Aber in dem Gedicht wurde eine absolut wichtige Gegebenheit angesprochen: Der Lieserpfad sollte nun die nächsten drei Stunden fernab jeder Zivilisation durch den Wald führen.
    Auf den zehn Kilometern zwischen Üdersdorfer Mühle und Manderscheid gibt es kein einziges Haus, an dem man vorbeikommt, keine Straße verläuft parallel im Tal oder kreuzt den Wanderweg. Der Wanderer ist im Wald. Punkt. Obwohl den Lieserpfad schon Hunderttausende Wanderer überlebt haben, bleibt er immer ein kleines Abenteuer: Haben wir genug zu essen und zu trinken dabei, um es bis zum nächsten Ort zu schaffen, oder wird man meine Gebeine und die meines Erzeugers Tage später gebleicht in der Sonne finden? Da kam meine Urangst als langjähriger Karl-May-Leser durch, und in Ermangelung des Mittleren Westens musste es in der Phantasie auch die Eifel tun. Werden wir mit der Einsamkeit des Waldes fertig werden? Wir sollten nämlich bis zum Abend keinen Menschen mehr sehen. Nur an der Mühle, wo es einen Wanderparkplatz
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