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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer
Autoren: Manuel Andrack
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gab, trafen wir eine Gruppe von sechs Wanderern und eine sehr alte Seniorin. Doch das ist im 500-Meter-Umkreis von Wanderparkplätzen normal: Da gehen die Spaziergänger |35| hin und her und zurück zum Auto. Außerhalb des Wanderparkplatz-Bannkreises ist man wieder allein. Ganz allein.
    Ich bekenne mich auch zur Furcht vor der
bestia
, dem wilden Tier, das einem jederzeit in den üppigen germanischen Wäldern begegnen kann. Ich habe schon viele Rehe am Lieserpfad gesehen. Gut, die haben mich bisher noch nicht angegriffen. Aber es soll auch Wildschweine geben. Und wenn man unglücklicherweise zwischen eine Wildsau und deren Frischlinge gerät, überlebt der Wanderer im Zweifelsfall nicht. Und gibt es nicht wieder vermehrt Wölfe in Deutschland?
    Weitere bange Fragen blieben offen: Werden wir uns verlaufen? Trotz Wanderkarte und guter Wegmarkierung weiß man ja nie. Und kommen wir ohne Verletzungen aus dem Wald heraus? Wie schnell ist man mit dem Fuß umgeknickt oder auf dem schmalen Lieserpfad abgerutscht und die Böschung hinuntergestürzt.
     
    Eine Stunde hinter der Üdersdorfer Mühle führte ein ein Kilometer langer Weg bergan zum Eckfelder Maar. Uns war es zu heiß für einen Abstecher, also erzählte ich meinem Vater, dass das Eckfelder Maar ein Trockenmaar ist. Es enthält also seit vielen Jahrtausenden kein Wasser mehr. Der Vulkan muss ziemlich plötzlich explodiert sein, was man an der unglaublichen Anzahl an Fossilien erkennt. Leider darf man als Hinz-und-Kunz-Fossilien-Sammler dort nicht graben, da die Universität Mainz das gesamte Gebiet abgesperrt hat. Gefunden haben sie ein ungefähr 40 Zentimeter großes Urpferdchen. Diese Mini-Stute war auch noch schwanger, sodass das werdende Baby-Urfohlen erhalten ist. Durch diesen |36| Top-Fund konnte nachgewiesen werden, dass die winzige Stute der evolutionäre Vorfahr unserer heutigen Pferde ist.
     
    Wir folgten weiter dem Lieserpfad und überquerten auf einer schmalen Betonbrücke den Fluss. Ich weiß nicht, ob die Lieser ein Bach oder ein kleiner Fluss ist. Irgendwie ist sie zu breit für einen Bach. Aber auf einem Fluss müsste eigentlich Schiffsverkehr stattfinden, oder? Ich nenne die Lieser einfach mal einen breiten Bach.
    An diesem Junitag führte die Lieser sehr wenig Wasser. An vielen Stellen ragten kleinere und größere Steine über den Wasserspiegel hinaus. Mein Vater nannte sie »Hungersteine«, wie die berühmten sieben Hungersteine vor der Loreley, die »Sieben Jungfrauen«, die schon manches Schifferschicksal entschieden haben. Wir fragten uns, warum es Hungersteine und nicht Durststeine heißt, weil die Steine ja bei Niedrigwasser sichtbar werden.
     
    Nach der Brücke ging es auf einem schmalen Pfad bergan mit einer Vielzahl von Blumen am Wegesrand. Gegenseitig gestanden wir uns, dass wir beide absolute botanische Nieten wären. Wir gerieten sogar ein bisschen in Streit darüber, wer denn die noch größere Niete sei. Der Praxistest musste es entscheiden.
    Mein Vater erkannte die Schafgarbe. Diese Pflanze hatten sie als Kinder für die Frontsoldaten pflücken müssen, die sich daraus einen Tee machen konnten. Er identifizierte aber auch noch Klatschmohn und blaue Kornblumen. Ich wusste, was Brennnesseln sind, entdeckte einen Farn. Auch Margeriten, gelbe Butterblumen und Löwenzahn waren nicht so schwer zu bestimmen. Ging |37| doch. Ein Unentschieden zwischen Vater und Sohn im Blumen-am-Wegesrand-Erkennen.
     
    Der schmale Blumenpfad mündete in einen breiteren Weg. »Jetzt betreten wir den Weg zur Hölle«, sagte mein Vater. – »Hä, Hölle?« – Anscheinend brauchte ich eine Nachhilfestunde in katholischer Heils- und Erlösungslehre: Der breite, bequeme Weg ist der Weg der Laster und Sünde und führt direkt in die Hölle, der schmale, entbehrungsreiche, krumme, dornige, anstrengende und steinige Weg aber ins Himmelreich. Vielleicht ist das der tiefere Grund für meine Affinität zu schmalen, gewundenen Pfaden: mein tief verwurzelter rheinischer Katholizismus. Ich möchte eben in den Himmel kommen.
    Wir hatten nun keine Wahl und mussten über den Höllenweg gehen. Nach einer halben Stunde erreichten wir eine große, offene Wiesenfläche, die so genannte Hahnerfläch. An der Hahnerfläch-Wanderhütte stand auf einem Zettel mit amtlichem Stempel, dass die Hütte vom Eifelverein für den 6. September 2004 zwischen 12:30 Uhr und 14:00 Uhr für eine 30-köpfige Wandergruppe reserviert worden war. Wir notierten uns das, um Bescheid zu
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