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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer
Autoren: Manuel Andrack
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Schornstein in den Himmel, aus rotem Backstein und umgeben von dichtem Grün. Ein Monument aus einer vergangenen Industrieepoche. Aber der Schornstein störte nicht und machte einen altertümlicheren und ruinöseren Eindruck als die herausgeputzte Burg. Wie man nach einem anstrengenden Tag im Museum vor einem gelungenen Gemälde wieder Kraft tankt, konnte ich nach dem beeindruckenden Ausblick trotz meines kleinen Schwächeanfalls meine Wanderung fortsetzen.
    Und zum ersten Mal begegnete ich leibhaftigen Winzern, mit Kiepe auf dem Rücken und Rebenschere in der Hand. Ich bin schon oft im Herbst durch Weinanbaugebiete gewandert, aber die arbeitenden Menschen waren immer seltsam unsichtbar geblieben. Waren sie gerade in höheren Lagen beschäftigt, während ich unten entlanglief? Machten sie Pause? Oder tranken sie schon einen Schoppen? Am Wegesrand stand ein Traktor mit Hänger, wo die Trauben gesammelt wurden. Und es stank. Da kann man nur hoffen, das das fertige Produkt eines Tages besser riecht und schmeckt.
     
    |445| Die erste Wanderhütte findet man oberhalb von Braubach. Hier stand nun der offizielle Abfalleimer des Rheinsteigs: ein blaues Ölfass. Früher brauchte man solche Fässer für Hip-Hop-Videos, nur dass die nicht frisch mit dem großen R-Logo des Rheinsteigs bemalt waren. Wahrscheinlich hat man sich mit dem ortsansässigen Müllentsorger darauf geeinigt, die Dinger nur alle fünf Jahre zu leeren, und daher das Volumen etwas erhöht. Die Tiere des Waldes wird es jedenfalls freuen.
     
    Fünf Kilometer hinter Braubach, oberhalb der Lahn, sah ich vor mir zwei Reiter, die im Schritt durch den Wald ritten. Langsam kam ich näher. Ich wollte sie unbedingt überholen und strengte mich mächtig an. Doch dann fielen sie in einen gemütlichen Trab und ritten mir davon. Trotzdem ging ich beschwingt im Wandergalopp die Kehren hinunter zur Lahn und weiter zur Ruppertsklamm.
    Dort ist zwar meist viel los, doch die wilde, felsige Strecke lohnt sich. Schon nach wenigen Metern verschluckt das schmale Tal die Geräusche der nahen Bundesstraße. Ich muss zugeben, eine solch steile Klamm war ich noch nie hinaufgestiegen. Teilweise waren Stricke an den Felsen angebracht, um besseren Halt zu bieten. Nach einer Viertelstunde war der Spaß allerdings schon vorbei, und ich stand vor der Klammhütte. Ich hatte mir schon gedacht, dass die Zeitangabe am Einstieg, man bräuchte eine Stunde bis zur Hütte, absolut unrealistisch sein musste. Wenn man wirklich langsam geht und mit Kind und Kegel unterwegs ist, braucht man eine halbe Stunde. Wer so hinfällig und gebrechlich ist, dass er wirklich eine Stunde bis zur Hütte braucht, der wird es überhaupt nicht bis dorthin schaffen, da er vorher kollabiert.
     
    |446| Nach der Ruppertsklamm ging es noch ungefähr dreieinhalb Kilometer, teilweise extrem steil, bergan, bis ich den Lichter Kopf erreichte, die höchste Erhebung in der Nähe von Koblenz. Und auf der Lichtung dieses Bergs stand ein Aussichtsturm. Ich überlegte hin und her. Dann bin ich hochgegangen. Und schnell wieder hinunter. Und fand alle meine Befürchtungen bestätigt. Ich habe nämlich etwas gegen Aussichtstürme. Das hat hauptsächlich vier Gründe:
Aussichtstürme sind ausnahmslos hässlich. Wahrscheinlich liegt es in der Natur der Sache, dass sie aussehen müssen wie Wachtürme von schlimmen Straflagern, aber sie stören mein ästhetisches Empfinden, wie sie da so deplatziert in der Landschaft herumstehen.
Ich bin der Meinung, dass man durch das Besteigen eines solchen Turms aus dem Wanderrhythmus kommt. Während man vorher zügig geht, kommt man sich im Aussichtsturm vor wie im Treppenhaus eines siebenstöckigen Hochhauses, in dem der Aufzug streikt.
Dieser Grund mag etwas individuell sein: Ich habe Höhenangst. Kurioserweise macht es mir überhaupt nichts aus, ohne Sicherung in eine mehrere hundert Meter tiefe Schlucht hinabzuschauen. Aber ein Gebäude (Hochhaus, Kölner Dom, Aussichtsturm) zu besteigen, verursacht bei mir ein unangenehmes Kribbeln in Körperpartien, in die kein Kribbeln gehört. Daher bin ich immer froh, wenn ich von den Dingern wieder runter bin.
Die Aussicht ist meistens nicht so toll, wie man sich das vorgestellt hat oder wie es versprochen wurde. So steht zum Beispiel im Rheinsteigführer, dass man vom Lichter Kopf aus die gesamte Tagesetappe von Braubach nach Koblenz überblicken könne. Braubach indes war komplett von Bäumen verdeckt. Von Koblenz hingegen hätte ich |447| gerne weniger
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