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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer
Autoren: T Korber
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Augenblicks und der Dauer der lebendigen Natur zogen.
    »Gar nicht so übel«, flüsterte Hoffmann Miriam zu, die schnaubte angesichts des Seitenblicks, den die Frau Viktor zuwarf. »Ja, aber sie hätte mal erwähnen können, wie pervers es ist, dass wir unsere Toten mit all diesen toten Blumen überhäufen. Leichen auf Leichen«, erwiderte sie und sog mit protestierend bebenden Nüstern den lauen Schnittblumengeruch ein.
    In der letzten Bank rumpelte Tobias herum und sammelte summend die überzähligen Sterbebildchen ein, für sein Album. Tante Hedwig stand auf und ging zu ihm, um ihn flüsternd zur Ruhe zu mahnen. »Du kriegst auch eine Cola«, hörte Viktor sie murmeln, und er musste lächeln.
    Nun war er erneut an der Reihe: »Rainer Bulhaupt war ein Mann des Haiku, das heißt, ein Mann des Zen. Als solcher hatte er begriffen, dass es im Leben kein Aufrechnen gibt, kein Gegeneinander, keinen Gewinn und keinen Verlust, nicht einmal im Tode. Es gibt nur den Augenblick und uns in seinem Mittelpunkt. Es gibt das All und seine Einheit, zu der wir gehören, auch wenn wir das nicht in jedem Moment zu spüren vermögen. Die einen sagen dazu, wir sind in Gottes Hand, die anderen sehen sich als Staubkorn im Nichts. Aber alle sind wir mit allem verwoben, untrennbar. So ist auch Rainer Bulhaupt noch bei uns, ist noch ein Teil des Großen und Ganzen, in dem nichts verloren gehen kann. Es ist nicht einfach zu begreifen, die Botschaft ist ebenso simpel wie schwer. So wie die drei Zeilen im Haiku. Wie unser Leben selbst, jeden Tag.«
    Unter denen, die nach der Beerdigung seine Hand drückten, war auch Karoline Schneid. »Das war eine gelungene Ansprache«, sagte sie.
    Er dankte ihr. »Eines Tages«, sagte er, »finde ich es heraus.«
    »Was?«, fragte sie und schob sich eine Sonnenbrille auf die Nase, die fast die Hälfte ihres Gesichts verbarg.
    »Alles«, sagte Viktor. »Habe ich Ihnen denn nicht erzählt, dass ich mal als …«
    Sie unterbrach ihn mit einem Abwinken. Dass sie lächelte, konnte er nur an dem Grübchen neben ihrem Mundwinkel erkennen.
    »Wir werden sehen«, sagte sie.
    »Was wollte die denn?«, fragte Miriam und stellte sich neben Viktor vor das frisch zugeschaufelte Grab, aus dem der frische Geruch nach feuchtem Sand drang. Mit hochgezogenen Brauen wandte er sich ihr zu.
    Sie presste die Lippen zusammen und schwieg.
    »Was sich wohl die Bäume hier denken?«, fragte Viktor laut. »Die auf den Gräbern wachsen?« Es war ein Friedensangebot.
    »Ich schätze, die Bäume haben damit keine Probleme«, meinte Miriam. »Solange ihr keine giftigen Lacke und Imprägniermittel im Boden versenkt. Nein, im Ernst«, fuhr sie fort, als er seufzte. »Habt ihr noch nie über Biosärge nachgedacht? Und wusstest du, dass die Schuhe, die die Toten tragen, streng genommen Sondermüll sind? Ich hab da mal was gelesen …«
    Diskutierend schlenderten sie den Weg entlang.
    Professor Hoffmann und seine Nichte nahmen die Einladung zu Kaffee und Kuchen ins Anders’sche Heim, die Tante Hedwig ausgesprochen hatte, gerne an. Glücklich flatterte sie um ihre Gäste herum und servierte auf der Terrasse Kaffee und Kuchen. Wolfgang Anders trank seine Tasse im Stehen und verabschiedete sich dann zu einer Aussegnung. Miriam beschäftigte sich mit Tobias, der eifrig an einem neuen Laptop zugange war.
    »Ich bin Ihrer Nichte ja so dankbar, dass sie sich als Stützerin für meinen Sohn engagiert.«
    »Ja«, erwiderte Hoffmann. »Sie hat ein Händchen für eigenwillige Menschen. Käuze wie mich, meine ich.« Er schaute Viktor an. »Und ich danke Ihnen«, fuhr er fort und nickte ihm zu, »für den Kontakt zu Ihrem Sensei. Ein wirklich außergewöhnlicher Mann.«
    »Das ist er«, bekannte Viktor. »Wenn er mich damals nicht am Strand aufgelesen hätte, weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre.«
    »Aufgelesen?«, fragte Tante Hedwig alarmiert.
    »Ein Blatt im Wind«, stellte der Professor fest. »Werden Sie zu ihm zurückgehen?«
    Viktor lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blinzelte in die Sonne. Aus einem der Nachbargärten drang Kinderlachen herüber. Eine verrostete Schaukel warf ihren Schatten über den Rasen. Wenn er die Augen halb schloss, konnte er meinen, Hannah, sich und die anderen über den Rasen laufen zu sehen. Er lächelte. »Das Bestatten hat mehr, als ich dachte«, sagte er. »Vielleicht probiere ich es erst noch eine Weile aus.«
    »Er hat angefangen, die Wohnung oben zu renovieren, nicht, Viktor?«, sagte seine Tante. Eifrig
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