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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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einfach gegangen!
    Charles sperrte das Geschäft zu, wobei er das Glöckchen an der Klinke wie jeden Abend zum Schweigen brachte. Früher hatte ein Luftzug es nachts manchmal läuten lassen, und er war in seinem Zimmer hinter dem Verkaufsraum aus dem Schlaf hochgeschreckt, weil er dachte, ein Kunde verlangte Zutritt.
    Zufrieden ließ er den Blick durch den Laden schweifen, der nun bald ihm gehören würde. In den rechtwinklig zueinander stehenden Vitrinen waren ein paar Kostproben seines Schaffens zu sehen. Vor einem Tisch mit abgeschrägter Platte stand eine verkratzte Bank. Hier hatte Gordon vornübergebeugt gesessen, bis er nicht mehr aufrecht gehen konnte. Das Vergrößerungsglas und das Okular, die er beide stets um den Hals getragen hatte, lagen jetzt in einer Schublade des Tischs. Der Fußboden war narbig, aber sorgfältig gepflegt.
    Gordon hatte ihm das Geschäft zwar nicht testamentarisch vermacht, aber Charles war der Meinung, es sich redlich verdient zu haben. Mit zwölf Jahren fleißiger Arbeit. Allerdings wussten die guten Leutchen von Inverness das nicht, denn Gordon hatte Charles stets behandelt, als könnte er nichts. Kein einziges Mal hatte der Mann ihn gelobt.
    Ob der Erinnerungen stirnrunzelnd, löschte Charles die Laternen und verließ den Verkaufsraum.
    Als Gordons Krankheit ihm nicht mehr erlaubte, auf seiner Bank zu sitzen, hatte er widerstrebend einige Aufträge an Charles weitergegeben, jedoch immer neben ihm gesessen, seine Arbeit überwacht und ständig seinen Umgang mit dem Ziselierbesteck kritisiert. Wenn Gordon sich zu einem zustimmenden Knurren herabließ, wusste Charles, dass er etwas Großartiges geschaffen hatte. Eines dieser Stücke war der McPherson-Taufbecher. Er hatte ihn vorhin höchstselbst abgeliefert.
    McPherson hatte den Becher mit einem strahlenden Lächeln gelobt, jedoch mehr über Gordons Entwurf gesprochen als über Charles’ Ausführung desselben.
    »Ein Künstler. Ein Genie. Wie sollen wir nur ohne ihn auskommen? Und Mary – wie bewältigt sie ihren Verlust?«
    Charles hatte gelächelt und die Fingerspitzen aneinandergerieben, wie er es sich von Gordon abgeschaut hatte. »Sie hält sich tapfer. Sicher vermisst sie ihn schmerzlich. Auch wenn wir vermeiden, über Gordon zu sprechen, ist er doch stets in unseren Gedanken bei uns.« Dass Mary sich so gut fühlte, dass sie in die Highlands aufgebrochen war, hatte er unerwähnt gelassen.
    Charles blieb am Fuß der Treppe stehen und lauschte nach oben. Alles war still. Die Köchin und das Dienstmädchen schliefen offenbar bereits. Die Unterkunft der beiden war verglichen mit der seinen beinahe luxuriös zu nennen.
    Gordon hatte bei Charles’ Eintritt als Lehrling den Lagerraum für ihn leer geräumt, und dort schlief Charles noch heute. Vor ein paar Jahren hatte er allerdings einen Riegel an der Tür angebracht, ein Schloss, das Gordon überraschenderweise respektierte. Vielleicht hatte das Alter oder seine Ehe mit Mary ihn milde werden lassen. Gordon war zum Ende seines Lebens hin glücklich gewesen, was nicht viele Männer von sich sagen konnten. Er besaß Ansehen und Vermögen und die Liebe einer schönen Frau. Was konnte ein Mann sich mehr wünschen?
    Charles öffnete die Tür zu seinem Zimmer mit dem Schlüssel an seiner Uhrkette, ging zum Bett, setzte sich auf die Kante und nahm eines seiner kostbarsten Besitztümer aus der Schublade des Beistelltischchens. Ein junger Bursche mit Talent hatte eines Tages auf dem Markt in Inverness eine Zeichnung von Mary angefertigt. Charles hatte sie aus Gordons Zimmer entwendet, als der schon sehr krank war, und seitdem bewahrte er sie hier auf. An diesem Ort, den außer ihm nie jemand betrat, wartete das Bild auf ihn. Jeden Abend holte er es aus seinem Versteck.
    Mary war seine Muse, seine Inspiration, doch als er jetzt mit ihr sprach, klang seine Stimme zornig.
    »Du musst begreifen, dass die Zeiten, da du in Inverness herumspaziert bist, vorüber sind. Du musst auf diejenigen hören, die sagen, dass du dir zu viel zumutest. Aber vor allem musst du begreifen, dass ich nicht so nachgiebig mit dir sein werde, wie Gordon es war. Ich werde strenger auf das achten, was du tust.«
    Sie schaute ihn auf ihre liebe Art an, und ihre Augen blitzten, als unterdrückte sie ein Lachen.
    Charles legte seinen Schatz in die Schublade zurück und schob etwas darin beiseite, damit die Zeichnung besser Platz hatte. Dann nahm er die Phiole in die Hand und blickte lächelnd darauf hinunter. Sie war
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