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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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Höhe. Nein, auch vor der Dunkelheit.
    Und vor dem Tod.
    Vielleicht führte sie deshalb einen so erbitterten Kampf gegen alle Arten von Krankheiten. Der Tod war ihr ständiger Begleiter gewesen, hatte auf ihrer Schulter gehockt und bösartig kichernd zugegriffen, wenn sie glücklich und unbekümmert war. Außer ihren Ehemann hatte er sich auch ihren Bruder geholt, nachdem der im zarten Alter von drei Jahren an Masern erkrankt war, und ihre Schwester, die mit neun Jahren die Influenza bekam, die gleiche Krankheit, von der später auch ihre Eltern in einem Abstand von nur wenigen Wochen dahingerafft wurden.
    Im ersten Stockwerk angelangt, atmete Mary auf. Sie hatte die Herausforderung gemeistert – und da sie hier gezwungen wäre, Treppen zu gehen, hoffte sie, dass es mit jedem Mal etwas leichter würde.
    Brendan trat durch die offene Tür zu ihrer Linken, und Mary folgte ihm. Ein kleines Kohlenbecken in einer Ecke, eine große Truhe und ein paar leere Kisten, die Pritsche, die Brendan und Micah vorhin heraufgebracht hatten, und ein Stuhl bildeten die Einrichtung.
    Brendan stellte die Kerze auf den Stuhl und die Reisetasche daneben auf den Boden.
    »Tut mir leid, dass ich Euch nichts Besseres bieten kann«, entschuldigte sich Brendan.
    Wie es schien, hatte das Zimmer seit Jahren keinen Besen aus der Nähe gesehen. Staub lag in der Luft, so dicht, dass man glaubte, ihn greifen zu können.
    Mary wehrte die Entschuldigung mit einer Geste ab. »Man hat mir schon schlechtere Quartiere geboten.«
    »Dann lasse ich Euch jetzt allein«, sagte Brendan. »Oder braucht Ihr noch etwas?«
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein danke. Ich habe alles. Wirklich.«
    Als er gegangen war, stellte Mary ihren Arztkoffer auf die flache Truhe und machte es sich in dem kleinen Zimmer so heimisch wie möglich, richtete das Bett her, packte ihre Reisetasche aus, hängte die Kleider an die Haken neben der Tür. Als sie vor eine der Schießscharten trat, wünschte sie, sie hätte die Möglichkeit, die Mauerschlitze zu verschließen, denn obwohl es erst Herbst war, ging der Hochlandwind durch Mark und Bein. Der Himmel sah nach Schnee aus, und der See und das Meer dahinter schimmerten silbern in der Abenddämmerung.
    Mary galt als reiche Witwe, doch sie hatte Gordons Vermögen nie so geschätzt wie jetzt, als sie eine der dicken Bienenwachskerzen anzündete, die sie aus Inverness mitgebracht hatte. Das Geld vermochte ihr zwar kein Glück zu spenden oder ihrer Einsamkeit ein Ende zu bereiten, aber es ermöglichte ihr ein bequemes Leben, und sie war dankbar, nicht Not leiden zu müssen. Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, was Armut einem Menschen antun konnte.
    Die flackernde Flamme mit der Hand schützend, fragte sie sich, wie die Bewohner von Castle Gloom die Winter überlebt hatten. Vielleicht hatten sie sich in Pelze und Wolle gehüllt – oder sie hatten sich einfach an den eisigen Wind gewöhnt.
    Über sich hörte sie Schritte auf dem Holzboden. Wahrscheinlich richtete Brendan sich ebenfalls in seiner Kammer ein.
    Sie blickte um sich. Was wohl Gordon dazu sagen würde, dass sie hier war? Er hätte ihr sicher von der Reise abgeraten – aber er hatte auch nichts von ihren geheimen Sehnsüchten gewusst. Wie hätte sie ihm eingestehen können, dass sie von fernen Orten träumte? Oder dass sie immer das Gefühl hatte, dass ihr etwas in ihrem Leben fehlte? Das war nichts, was man einem Ehemann anvertraute.
    Sie ging zu der Truhe hinüber und öffnete ihren Arztkoffer, der – komplett ausgestattet – ein Geschenk von Gordon war. Eines der letzten, die er ihr gemacht hatte.
    »Verglichen mit dem Glück, das du in mein Leben gebracht hast, ist es nur eine Kleinigkeit.« Die Erinnerung an seine Worte trieb Mary die Tränen in die Augen. Er war so ein guter Mann gewesen.
    Gordon, ein Freund ihres Vaters, hatte nach dessen Tod ihrer Mutter Hilfe und Trost angeboten. Als er Mary damals an ihrem siebzehnten Geburtstag einen Heiratsantrag machte, hatte sie ohne Zögern zugestimmt.
    Er war der galanteste Ehemann gewesen, den man sich vorstellen konnte. Die Leute, die sein Talent als Goldschmied zu würdigen wussten, sagten oft, dass er in Edinburgh ein Vermögen hätte machen können, aber dann lächelte Gordon nur und sagte, er hätte verdient, so viel er zum Leben brauchte – wäre das nicht genug?
    Ihre Ehe war genauso gewesen, wie Mary sie sich vorgestellt hatte, wenn auch mit einigen Überraschungen gepaart. Sie hatte erwartet, dass er
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