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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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die beiden hatten dies nie notariell festschreiben lassen. Er hatte Charles einige seiner Werkzeuge und einen Teil des Inventars hinterlassen, doch alles andere im Laden gehörte Mary, ebenso wie seine Kassette mit den Gold- und Silberbarren.
    Kurz gesagt, sie war reicher, als sie es sich je hätte träumen lassen. Und allein – zum ersten Mal in ihrem Leben. Allein und hellwach in einem verlassenen Castle am Ende der Welt.
     
    Hamish hatte Schwierigkeiten, Schlaf zu finden, und heute Abend ob Brendan und der Leute, die er nach
Aonaranach
mitgebracht hatte, umso mehr. Und so lief er in seinem kleinen Zimmer hin und her wie ein angeketteter Bär.
    In den letzten Wochen war er zum ersten Mal in seinem Leben völlig allein gewesen. Da er den Klang von Stimmen vermisste, hatte er angefangen, Selbstgespräche zu führen, doch jetzt wäre er die ersten Menschen, die er seit fast einem Monat zu sehen bekam, am liebsten umgehend wieder losgeworden.
    Er blieb am Fenster stehen und blickte in die kalte Nacht hinaus. Die rasch am Himmel dahinziehenden Wolken ließen nur hin und wieder ein Stück Mond sehen, das ferne Meer lag wie ein riesiges schwarzes Wesen da, in dessen Atemrhythmus sich die Wellen hoben und senkten. Irgendwo schrie ein Nachtvogel. Sein klagender Ruf blieb unbeantwortet.
    Inzwischen war Hamish der Ausblick von hier oben sattsam vertraut, doch der Geruch von Kochfeuer und Fassbier war neu, und er irritierte ihn. Plötzlich war das Castle
bewohnt –
und das auch noch von Fremden!
    Das Essen, das Brendan ihm heraufgebracht hatte, war allerdings eine angenehme Abwechslung nach den frugalen Mahlzeiten der vergangenen Wochen.
    Hamish schaute zu seiner Pritsche hinüber. Sosehr sein Körper sich nach Schlaf sehnte – sein Verstand riet ihm davon ab. Er würde nur wieder von Alpträumen geplagt werden, in denen Männer, die er sein Leben lang kannte, nacheinander vor ihn hintraten und ihm ihre Namen nannten, als kennte er sie nicht. Samuel, Brian, Alex, William – siebenundzwanzig an der Zahl.
    Sie waren nicht mit ihm gesegelt, weil er ein MacRae war oder weil er, seit er sein eigenes Schiff kommandierte, dreimal ein Vermögen für seine Mannschaft gemacht hatte. Nein, die Männer, die bei ihm anheuerten, taten es in der Überzeugung, dass er, Hamish, die richtige Mischung aus Wagemut und Weisheit besaß – kurz gesagt, im Vertrauen auf seine Fähigkeiten.
    Aber ein Mann hatte keine Chance gegen fünfzig, und mindestens so viele Männer hatten sein Schiff geentert. Er hatte wie betäubt mit angesehen, wie sie seine Mannschaft abschlachteten und Feuer legten, bis nur noch ein verkohltes Gerippe auf dem Wasser lag, das schließlich kippte und auf den Grund des Meeres sank.
    Die Alpträume liefen jede Nacht genau gleich ab. Nach dem Appell seiner Männer wurde er in das Lager der Atavasi verschleppt, wobei der Traum präzise die reale Gefangennahme nachspielte. Er wurde von einem Dorf zum nächsten gezerrt, von Wasserfall zu Berg, von Tal zu Flussufer, und jede Szene kennzeichnete ein anderes schmerzhaftes Zwischenspiel. Als er gerade um ein Ende zu beten begann, gestatteten seine Folterer ihm, wieder einige Kräfte zu sammeln, um ihre Quälereien anschließend noch verlängern zu können.
    Hamish setzte sich auf die Pritsche und zog seine Stiefel aus. Dann stand er auf, streifte seine Kleider ab und stand nackt in der kalten Nachtluft.
    Er kannte seinen Körper gut, die Belastbarkeit jedes Knochens, die Dehnbarkeit jedes Muskels und jeder Sehne, war gleichzeitig darin gefangen und davon getrennt gewesen, ein Teil davon und auch wieder nicht. Er hatte seinen Körper empfunden wie sein Schiff, als ein Werkzeug, eine Hülle, in der er lebte.
    Die Atavasi hatten ihr Bestes getan, ihn zu einem lebenden Leichnam zu machen. Dass es ihnen nicht gelungen war, lag an seinem Durchhaltevermögen, einer Eigenschaft, die zu besitzen ihm bis dahin gar nicht bewusst gewesen war.
    Während all der Zeit leugnete sein Verstand, was da mit ihm geschah. Er, Hamish, hatte sich gegen die Qualen, die sie im bereiteten, abgeschottet, indem er sich in seine Gedankenwelt zurückzog, in seine Vergangenheit oder seine Wünsche für die Zukunft. Trotz der Umstände hatte er sich an einen kleinen Rest Hoffnung geklammert.
    Schließlich war es gewesen, als teilte der als Hamish MacRae bekannte Mensch sich, um zu überleben. Der Körper wurde verloren gegeben, der Verstand entzog sich dem Schmerz durch Flucht, und die Seele verharrte in
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