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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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zwar dankbar, dass sein Bruder nicht entschieden hatte, ihn nach Hause, nach Nova Scotia zu bringen, denn er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sein Anblick seine Eltern getroffen hätte – aber weiter Richtung Norden nach Gilmuir zu segeln kam nicht in Frage für ihn.
    »Dein Tod macht sie nicht wieder lebendig«, sagte Brendan.
    Hamish sparte sich die Mühe, ihm zu erklären, dass er mehr Schuld zu tragen hatte als den Verlust seiner Mannschaft. Ob der ernsthaften Besorgnis seines Bruders gerührt, lächelte er nur. Brendan war stets loyal gewesen – wie hatte er erwarten können, dass es diesmal anders wäre?
    Er und Brendan hatten einander seit frühester Kindheit nähergestanden als die übrigen MacRae-Brüder. Immer forderten sie einander heraus und gingen dank dieses ständigen Wettstreits jeder bis an seine Grenzen. Sie hatten auf ihren Reisen Treffen eingeplant, und manchmal nahmen die beiden MacRae-Schiffe dieselbe Handelsroute.
    Jetzt jedoch wünschte Hamish, Brendan würde ihn einfach in Ruhe lassen.
    »Ich sterbe nicht so leicht, Brendan«, wie du weißt.
    Brendan sagte nichts dazu. Er entfernte sich, zweifellos, um seinen Männern Befehle zu erteilen.
    Hamish blieb am Bug stehen und lauschte den Geräuschen in seinem Rücken, machte ein Spiel daraus zu erkennen, was die Mannschaft tat. Das Kratzen von Metall auf Metall besagte, dass der Anker zu Wasser gelassen wurde, um die Fahrt des Schiffes zu verlangsamen. Eisen auf Holz zeigte an, dass die schweren Segel eingeholt wurden. Das Segeltuch knatterte, als der Wind widerstrebend seinen Griff lockerte.
    Die Fahrt eines Schiffes zu drosseln war eine geräuschvolle Angelegenheit, der Austausch untereinander währenddessen auf Befehle beschränkt. Es wurde nicht geplaudert oder gescherzt oder der Zeitvertreib nach der in Kürze erfolgenden Anlandung geplant. Seit Indien herrschte ohnehin getrübte Stimmung an Bord.
    Der Erste Offizier trat zu ihm. Hamish kannte den Mann von früheren Reisen. Er wurde Sandy genannt, aber nicht seines blonden Haars wegen, sondern ob seines ersten Abenteuers auf See. Er war mit einem Beiboot auf einer Sandbank gestrandet, und seine Mannschaftskameraden hatten ihm daraufhin diesen Spitznamen gegeben, der ihn seit nunmehr zwanzig Jahren begleitete.
    »Ich nehme meine Truhe mit«, sagte Hamish und nannte dann die anderen Dinge, die zusammengepackt werden sollten. Er brauchte ausreichend Verpflegung, bis Brendan ihm, wie er grollend zugestimmt hatte, Nachschub brächte.
    Der Erste Offizier nickte schweigend. Im Gegensatz zu Brendan versuchte er nicht, Hamish seinen Entschluss auszureden. Vielleicht konnten Sandy und die anderen es ja auch gar nicht erwarten, ihn von Bord gehen zu sehen. Seeleute waren ein abergläubisches Völkchen, und seine Anwesenheit auf dem Schiff wurde ohne Zweifel als ein schlechtes Omen betrachtet.
    Knapp eine Stunde später wurde er an Land gerudert. Brendan saß ihm gegenüber und musterte ihn mit finsterer Miene.
    »Du hast alles Menschenmögliche getan«, sagte Hamish in dem Bemühen, seinem Bruder etwaige unangebrachte Schuldgefühle zu nehmen.
    »Du redest, als würdest du sterben, Hamish«, sagte Brendan in scharfem Ton. »Ist das deine Absicht? Willst du sterben?«
    Hamish lächelte. »Du meinst, indem ich meinen körperlichen Verfall beschleunige?« Hamish dachte darüber nach. Er müsste nur darauf verzichten, zu essen und zu trinken, die Wasserbehälter, den Schiffszwieback und das Dörrfleisch unberührt lassen, nicht auf die Jagd gehen, kein Feuer machen. Wenn er keinen Finger rührte, würde der Tod vielleicht kommen. Ein erschreckend verführerischer Gedanke.
    Zu sterben und nichts mehr zu fühlen. Zu sterben und nicht mehr die gequälten Schreie seiner Mannschaft zu hören. Zu sterben und nicht mehr schweißgebadet und von Gewissensqualen gepeinigt aus dem Schlaf hochzufahren. Aber wie gesagt – er starb nicht so leicht. Das hatte er bewiesen.
    Das Boot schabte ans Ufer der Insel. Hamish stand auf und packte mit seiner gesunden Hand das eine Ende seiner Truhe.
    »Du wirst schon wieder.« Brendan schloss die Finger um den anderen Griff. »Es braucht einfach seine Zeit.«
    Hamish lächelte nur. Seine körperlichen Wunden waren völlig geheilt – seine seelischen würden nie völlig heilen.

Kapitel 1
    E rzählt mir etwas über meinen Patienten«, bat Mary Gilly.
    »Als wir Kinder waren, nannte ich ihn ›Hammer‹.« Brendan schaute sie an und gleich wieder weg, als fürchtete er sich
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