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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
Autoren: Svetlana Sekulic
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sich
willig zu zeigen und um sich nicht mit der Pflegerin in einen Kampf
begeben zu müssen. `Ich weiß nicht mehr so recht`. `Was
wissen sie nicht so recht`? Schrie es sodann Nicola entgegen. Das
Blut schoss ihm ins Gesicht, sein Körper bäumte sich auf,
streckte sich vor Schreck kerzengerade auf dem Stuhl, auf dem er fest
saß. Er versuchte zu schlucken, um in seinem Mund einen Anlauf
nehmen zu können, denn seine Kehle war ausgetrocknet und
zugeschnürt. Es war zu trocken darin. Die Spucke hatte sich
aufgelöst und ohne Spucke konnte er kein Wort bilden. Sein
Gehirn versuchte trotzdem einen Satz zu finden, auf die Frage hin,
was er nicht so recht wüsste. Es war zwecklos. Es kam kein Ton
aus ihm heraus, stattdessen sah er sie mit weit geöffneten Augen
an und mit einem knallroten, überforderten Gesicht. Die stämmige
Pflegerin stand auf und ging zur Tür, um daran dreimal zu
klopfen und dahinter zu entschwinden. Die Fluchtgefahr war gebannt
und das Blut wich aus seinem Gesicht, dafür stellte sich
Entspannung ein und Nicola erhob sich, um irgendwo zu pinkeln, egal
wo. Keine Kloschüssel und kein Eimer in dem Raum, nichts war
auszumachen in dem Raum, einfach nur nichts. Auf dem Fenstersims
entdeckte er eine Pflanze in einem kleinen Blumentopf. Er ging darauf
zu. Er zupfte die Pflanze heraus und pinkelte inmitten der
Pflanzenerde rein. Plötzlich standen die beiden Männer von
vorhin in dem Zimmer und das direkt hinter ihm, während Nicola
in der einen Hand die Pflanze hielt und mit der anderen noch
pinkelte. Die Männer schauten sich kurz an und ohne
irgendwelcher Worte gingen sie einen Schritt auf ihn zu, blickten auf
den ausgehöhlten Pflanzentopf, der in der Hand von Nicola zu
überlaufen drohte. Jetzt ist sowieso alles egal, jetzt werde ich
auch zu Ende pinkeln, dachte sich noch Nicola, während er zwei
kräftige Arme unter seinen Achseln spürte. Er wurde in
einen weiß gekachelten Raum gebracht, dass wie ein Duschraum
aussah. Er wurde aufgefordert sich auszuziehen und sich darunter zu
stellen. Sofort fiel ihm das Judentum und die Nazizeit in Deutschland
ein und Nicola bekam es mit der Todesangst zu tun. Er wollte noch
nicht sterben und auf keinen Fall wollte er vergast werden. Nicola
versuchte wegzurennen. Er rannte um sein Leben. Die Männer
rannten hinter ihm her. Und plötzlich waren es ganz viele
Menschen, die er um sich herum sah und er bemerkte nur noch, wie er
auf den Boden sank und einen Nadelstich in seinem Arm spürte und
sein Geist sich in Sekundenschnelle verabschiedete.
    … .Und
in Sekundenschnelle kam sein Bewusstsein plötzlich wieder
zurück. Leila, Leila, was tust du mir nur an. Jetzt sitze ich
hier, da wo du auch bist und komme doch nicht an dich heran. Nicola
gestand sich ein, einen Fehler gemacht zu haben. Eigentlich war ihm
seit jeher klar, dass er immer irgendwie alles falsch machte, aber
diesmal hatte er richtig Angst dabei. Er war inmitten in dieser
Anstalt, vor dessen er früher mit Respekt begegnet war und so
schnell es nur ging auch wieder verlassen hatte, wenn er die Post
dort ablieferte. Jetzt hatte er, der Liebe wegen, sich in die Angst
unmittelbar hinein gesetzt. Er war selbst sehr überrascht über
diesen Mut, wenn da nicht die eigentliche Angst gewesen wäre.
Die Angst und die Panik davor, dass sie ihn nie mehr wieder in die
Normalität raus lassen würden, dass sie ihn voll pumpen
würden mit eigenartigen Tabletten und er dann tatsächlich
komplett irre werden würde.

    Nicola
erhob sich und ging mit den anderen in den Speisesaal. Er aß
sein Essen und ging wieder zurück in sein Zimmer. Freiwillig. Er
legte sich auf sein Bett und dachte nach. Er hatte keine Angst mehr,
denn er konnte gut beobachten. Er wusste die Menschen um sich herum
gut einzuschätzen. Er wusste, wie die Anstaltsleiterin, die
immer noch wie ein Mann aussah einzuschätzen war. Sie fühlte
sich inmitten der Beklopften erhaben. Sie fühlte sich als was
besseres. Dabei, so kam es Nicola von Tag zu Tag mehr vor, hatte sie
selbst deutlich was an der Klatsche. Denn es war ihm, dass ein Mensch
sich zwar erhaben über einen anderen Menschen fühlen kann,
nicht aber ohne Mitleid oder ohne eines Herzens. Die Anstaltsleiterin
konnte einem nur noch leid tun, aber selbst dafür konnte Nicola
sich nicht erwärmen. Er beobachte diese Person, halb Frau, halb
Mann ganz genau, zu jeder Stunde und eines jeden Tages. Vielleicht
wollte Nicola nur den Moment nicht verpassen, wenn sich aus dem
grimmigen, furchtlosen Gesicht
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