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Gekapert

Titel: Gekapert
Autoren: Nuruddin Farah
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A us einem Wagen, der soeben angehalten hat, steigt ein Bursche unbestimmten Alters mit New-York-Yankees-Baseballkappe und Ray-Ban-Sonnenbrille, bedächtig wie eine Spinne, die eine Mauerritze hochkriecht. Ohne Hilfe der beiden vorn im Auto sitzenden Männer holt er aus dem Kofferraum eine Reisetasche. Es sind altgediente Soldaten, und obwohl sie kein Wort darüber verloren haben, weiß er, daß sie nicht viel von seinesgleichen halten.
    Der Bursche wirft sich die Tasche über die Schulter, nickt den beiden Männern im Fahrzeug dankend zu. Sie sehen mit offensichtlicher Verachtung weg, seine Dankbarkeit interessiert sie nicht. Sein Lächeln zeigt jugendlichen Wagemut, verbirgt seine Beklommenheit. Er will nicht versagen, darf nicht versagen. Der enorme Unterschied zwischen einem Märtyrertod und eine Sache in den Sand zu setzen und dabei umzukommen, ist ihm bewußt. Natürlich will er nicht sterben, nicht bevor er seinen Traum verwirklicht hat.
    Er ist klein, sein Ehrgeiz groß. An seinem ersten Tag in der Al-Schabaab hatte ihn der Ausbilder, der sich über ihn aufgeregt hatte, am Kragen gepackt und auf somalisch angebrüllt: »Waxayahow yar!« – »Du Grünschnabel!« Der Spitzname blieb hängen, und wenn er fällt, fühlt er sich mittlerweile auch angesprochen. Das Auto stößt zurück, er bewegt sich auf der staubigen Straße vorwärts, atmet schwer unter seiner Last.
    Es ist heiß; kurz vor Mittag kommt ihm eine Frau entgegen, die ein Körperzelt trägt. Er weckt ihr Interesse, ein zierliches, knapp 1,40 Meter großes Kerlchen, das eine Reisetasche schleppt, größer und schwerer als es selbst. Sie beobachtet, wie der Bursche die Tasche auf den Boden stellt und erleichtert aufseufzt. Erst wenn er seine Sonnenbrille abgenommen hat, wird sie es in Betracht ziehen, den Gesichtsschleier zu heben oder Fragen zu beantworten.
    Sie beschließt, ihm von gleich zu gleich zu begegnen und löst ihren Schleier. Beugt sich hinab und sieht ihm in die Augen, will ihm die Nervosität nehmen. Sie tauschen den üblichen Gruß aus – sie sagt Nabad , das somalische »Friede sei mit dir«, er bevorzugt das arabische Pendant, Salamu alaikum .
    »Kann ich helfen?« fragt sie. »Sieht so aus, als ob du dich verirrt hast.«
    Sie möge ihm sagen, in welcher Richtung die Kibla liege, bittet er sie.
    Sie läßt sich Zeit, überlegt, ob er wohl einer der Handlanger ist, die für die Al-Shabaab die schmutzige Arbeit verrichten. Der arme Kerl muß die Kibla – den arabischen Ausdruck für die Richtung in der Mekka liegt und in die sich ein Muslim beim Gebet wendet – mit Norden verwechseln, denkt sie und fragt sich, ob er ein Mann mit der Stimme eines Jungen oder ein Junge im Körper eines Mannes ist. Sie stehen auf einer der staubigen Straßen East Wardhiigleys, eines heruntergekommenen Viertels Mogadischus, und taxieren einander. Cambara ist auf dem Weg zum Bakaaraha-Markt; sie benötigt noch ein paar Dinge für die Wohnung, die sie für ihre Gäste vorbereitet, Jeebleh und seinen Journalistenschwiegersohn Malik, die morgen eintreffen werden. Während sie Grünschnabel betrachtet, kommt ihr der Gedanke, daß er sich vielleicht als jemand ausgibt, der er gar nicht ist, so wie sie sich, ehe sie das Haus verläßt, das Körperzelt wie eine Verkleidung überstreift. Die Somalierinnen, die zuvor nie Schleier zu tragen pflegten, nahmen nach Ausbruch des Bürgerkrieges 1991 dazu Zuflucht. Damit fühlten sie sich etwas geschützter vor sexuellen Belästigungen durch bewaffnete Jugendliche. Seit aber 2006 die Union islamischer Gerichte die Herrschaft über Mogadischu übernommen hat und ihre Auslegung der Scharia ausweitet, ist die Verschleierung ein Muß geworden. Frauen, die Hosen tragen oder etwas freizügigere Kleider, wie noch vor dem Bürgerkrieg, werden bestraft.
    Sein Haar ist aschefarben und mit Locken geschlagen, deren kein Kamm Herr wird. Den wenigen Worten, die sie bisher vernommen hat, entnimmt sie, daß er noch nicht im Stimmbruch war. Dennoch ist sein Gesicht von jenen tiefen Furchen durchzogen, die sie mit den Hirten aus der Zentralregion assoziiert, wo die politischen Unruhen der letzten Zeit entstanden sind. Die Al-Schabaab, der Militärflügel der Union der islamischen Gerichte, versuchte, die Einwohner der Stadt bis zur Unterwerfung zu terrorisieren, und es sieht so aus, als wäre sie einigermaßen erfolgreich gewesen. Sie vermutet, daß er einer der Al-Schabaab-Rekruten ist, die den Auftrag haben, eines der Häuser hier in
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