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Gekapert

Titel: Gekapert
Autoren: Nuruddin Farah
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Entscheidungen zu treffen. Soweit er beurteilen kann, ist hier drin alles ruhig. Er streicht mit triumphierendem Gefühl ein bißchen durch das Haus, geht dann hinaus, um die Reisetasche zu holen. Er ruft seinen Aufpasser an, teilt ihm mit, daß er im Haus ist und es unbedenklich genutzt werden kann.
    Sein Aufpasser verlangt, er solle das Äußere des Hauses beschreiben, das er »geweiht« hat. Er fragt ihn sogar mehrmals, wie er dorthin gekommen ist. Zuerst schiebt Grünschnabel das auf die schlechte Verbindung. Dann bekommt er Zweifel, ob er sich überhaupt auf dem richtigen Anwesen befindet.
    Er beendet das Telefonat und fängt an, das Haus gründlich auszukundschaften, was er gleich hätte machen sollen. Er geht die Treppe hinauf und betritt die Zimmer. Die Räume sehen bewohnt aus: offen stehende Schubladen, dreckschwarze Socken, Unterhosen, noch feucht vom Tragen. Ich bin im falschen Haus, denkt er wieder. Aber das kann er nun nicht mehr ändern.
    Der Kühlschrank in der Küche brummt. Er öffnet die Tür und sein Blick fällt auf Plastikdosen, die wahrscheinlich die Reste des gestrigen Abendessens enthalten, und er verspürt Hunger und Wut zugleich. Er hat sich schon seit langem nicht mehr den Bauch mit Fleisch vollgeschlagen und ist versucht, das Essen, das sehr lecker aussieht, in sich hineinzustopfen. Er wünscht sich, er hätte seinen Aufpasser nicht angerufen.
    Er hört ein Geräusch auf der vorderen Veranda. Er dreht sich um und sieht durch die offene Tür einen sehr alten Mann, unrasiert, im Morgenmantel und mit Flipflops, auf das Haus zuwanken. Wahrscheinlich wird der Alte ebenso überrascht sein wie er. Doch der Alte scheint Grünschnabel mit einem seiner vielen Enkelkinder zu verwechseln. »Du bist ja früh zurück! Der Wind hat die Tür zugeknallt, und ich kam nicht wieder rein und bin im Vorgarten auf der Bank unterm Baum eingeschlafen.«

J eebleh verläßt taumelnd die Fokker, die gerade aus Nairobi in Mogadischu gelandet ist, und geht die wacklige Treppe hinab, die von einer Schar Jugendlicher, die wie Sträflinge aussehen, an das Flugzeug geschoben worden ist. Staubwolken schlagen ihm entgegen, klebrig vermischt mit Mittagshitze und Luftfeuchtigkeit und kaum aufgefrischt vom Wind, der vom gerade mal einen halben Kilometer entfernten Meer herüberweht. Dazu kommt das lästige Menschengewimmel am Fuß der Treppe, wo sich Gepäckträger zwischen die aussteigenden Passagiere quetschen, um ihre Dienste anzubieten.
    Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt ist Jeebleh wieder in Mogadischu. Sein Schwiegersohn Malik begleitet ihn, ein freier Journalist aus New York, der über das ihm unbekannte Land seiner Vorfahren schreiben will. Beunruhigt mustert Malik ein Halbdutzend bärtiger Männer in weißen Gewändern und mit Peitschen in den Händen. Im jemenitischen Aden geboren, der Vater Somalier, die Mutter Chinesin aus Malaysia, ist Malik hauptsächlich in Malaysia aufgewachsen, einem Land, in dem es sehr gesittet zugeht. Zwar hat er als Kind Somalisch gelernt, es aber nur selten gehört, deshalb klingt der fremde, harte Tonfall, mit dem diese bärtigen Männer Passagieren und Gepäckträgern gleichermaßen Befehle zubellen, ungewohnt in seinen Ohren. Jeebleh fällt der Spruch seiner Frau über Somalia ein: »Dieses entsetzliche Land mit seinen verfluchten Clans, die sich gegenseitig umbringen und alle anderen um sich herum ebenfalls.« Und doch hatte ausgerechnet Judith, die zu unangebrachten Bemerkungen und peinlichen Fauxpas neigt, vorgeschlagen, Jeebleh solle Malik mitnehmen, und sie hatte ihre Tochter, Amran, zur Zustimmung bewegt.
    Im Gedränge sind Jeebleh und Malik getrennt worden, die Passagiere schubsen einander, bestrebt, schnell ihr Gepäck zusammenzusammeln oder sich aus der Menge zu befreien. Jeebleh tritt zur Seite und streckt Malik die Hand hin, wie man einem Ertrinkenden die Hand reicht. Malik nickt und lächelt dankbar, macht aber keine Anstalten, sich auf die Hand zuzubewegen, und so bahnt sich Jeebleh langsam einen Weg durch die Menge zu ihm. »Laß uns in Richtung Grenzkontrolle gehen«, ruft er auf englisch und deutet auf die Halle, schlägt dabei jemandem mit der Hand ins Gesicht und entschuldigt sich. Doch der Mann, den er geschlagen hat, scheint sich überhaupt nicht behelligt zu fühlen.
    Ein Mann, der offensichtlich Befugnisse zu haben scheint, auch wenn er nicht in einer Uniform steckt – er gehört zu jenen, die ein weißes arabisches Gewand und eine violette Kufija à la
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