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Gekapert

Titel: Gekapert
Autoren: Nuruddin Farah
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Anforderungen eines Selbstmordattentäters nicht gerecht wurde, schlug VerkünderDerWahrheit vor, er solle sich bei den Sprengstoffen einarbeiten, und stellte ihn zu Fußknechts Einheit ab.
    Grünschnabel kennt den Ablauf: Vollbart wird sowohl an Fußknecht als auch an VerkünderDerWahrheit eine Bestätigungs- SMS geschickt haben, daß Grünschnabel die Reisetasche abgeholt hat. Besondere Ereignisse erfordern besondere Rituale, die häufig wiederholt werden – jedesmal, wenn einer der Rebellen von den Anführern des Aufstands Waffen oder Geld erhält.
    Vom Herumschleppen der Tasche erschöpft, legt Grünschnabel eine längere Verschnaufpause ein, bezweifelt, daß er sich auf dem richtigen Weg befindet. Laut dem Fahrer hätte das Haus ganz in der Nähe sein müssen. Entweder ist er im Kreis gelaufen oder die Frau im Körperzelt hat ihn irregeführt. Ihm schwant, daß er nicht mehr im Zeitplan liegt, und er beschleunigt seine Schritte, biegt links ab, dann rechts und wieder rechts. Da stößt er auf zwei Männer, die sich unterhalten, und beschließt, daß es sich um die beiden Al-Schabaab-Sympathisanten handeln muß, die ihm weitere Anweisungen erteilen sollen. Anfänglich schenken ihm die Männer keinerlei Aufmerksamkeit, obwohl er dicht neben ihnen steht. Grünschnabel kommt es vor, als wüßten sie nicht so recht, was sie von ihm halten sollen. Dann fällt ihm der vereinbarte Erkennungssatz ein. Wie ein Schauspieler, der seinen einstudierten Text aufsagt, fragt er: »Würden Sie mir bitte sagen, in welcher Richtung Norden liegt?«
    Daß die beiden Männer nicht genau der Beschreibung seiner Ausbilder entsprechen, beunruhigt Grünschnabel nicht. Der Hunger läßt ihn nachlässig werden, den Details seiner Mission keine Aufmerksamkeit schenken. Der ältere der Männer ist schlank und sehr dunkel, mit klugen Augen, er trägt einen Sarong. Sein Begleiter, jünger und untersetzter, trägt die Tracht der Beduinen.
    Der Mann in Beduinenkleidung spricht als erster, seine Zähne sind braun verfärbt. Er wendet sich an seinen Begleiter und sagt mit dem typisch überheblichen Tonfall, den Gebildete annehmen, wenn sie mit weniger beschlagenen Menschen sprechen: »Dieser Grünschnabel möchte wissen, in welcher Richtung Norden liegt.«
    »Wie kommst du darauf, daß er wissen will, in welcher Richtung Norden liegt, wenn er eigentlich wissen will, in welcher Richtung die Kibla liegt?« erwidert der Ältere.
    Grünschnabel weiß nicht mehr, welchen Fremden er an welcher Straßenecke mit dem Codewort »Kibla« nach dem Weg fragen sollte. Aus dem Tonfall des Älteren schließt er, daß sie sich über ihn lustig machen. Ein längerer Blick auf die beiden bringt ihn noch mehr durcheinander. Der Mann in Beduinenkleidung benimmt sich so eigenartig, als wollte er die Hand ausstrecken und die Reisetasche öffnen. Grünschnabels Unsicherheit verstärkt sich, als der Mann, wie um dem Älteren sein überlegenes Wissen zu beweisen, sagt: »Glaubt der junge Mann etwa, daß die Kibla immer im Norden liegt?«
    Nun zeigt sich Zweifel in den Augen des Älteren und auch sein Blick richtet sich auf die Tasche. Er weist Grünschnabel an, er solle den Weg, den er gekommen sei, zurückgehen, bis er zu einem großen Haus komme, auf dessen grünem Tor in roter Farbe und frisch glänzend »Allahu Akbar« stehe.
    »Wie weit ist es zum Haus mit der Inschrift?«
    »Bis zur Kreuzung sind es hundertfünfzig Schritte«, antwortet der Ältere. »Dann gehst du nach rechts und nochmal nach rechts. Das ist der Weg nach Norden, Richtung Mekka, die Ausrichtung der Kibla, der richtige Weg. Das grüne Tor und die blutrote Inschrift sind nicht zu übersehen. Das ist das Haus, nach dem du suchst.«
    Kaum ist Grünschnabel außer Hörweite, da bricht der Mann in Beduinenkleidung in Hohngelächter aus, amüsiert sich beim Gedanken, daß sie den Burschen zum falschen Haus geschickt haben, das einem Geschäftskonkurrenten des Älteren gehört. Der Hausbesitzer ist außer Landes und hat sein Heim an eine Familie mit fragwürdiger politischer Vergangenheit vermietet, die zu einem Clan gehört, der mit dem des Mannes in Beduinenkleidung verfeindet ist. »Zwei Fliegen mit einer Klappe«, sagt er.
    Grünschnabel sucht nach dem Haus mit dem grünen Tor und der Inschrift, schiebt sein löchriges Gedächtnis auf die Tatsache, daß er kein Frühstück gehabt hat; zudem sind für einen Grünschnabel wie ihn die verzwickten politischen Spielchen der Erwachsenen unverständlich.
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