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Gekapert

Titel: Gekapert
Autoren: Nuruddin Farah
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Vermutlich nutzen sie ihn ohnehin nur aus. Alles ist so verworren. Doch dann findet er das Tor mit der Inschrift und vergißt seine Zweifel. Er geht daran vorbei und biegt rechts ab. Wie angewiesen, sucht er den Hintereingang. Der Zaun, über den er hier klettern muß, ist hoch.
    Sein Herzschlag beschleunigt sich, er schickt eine kurze SMS an seinen Aufpasser, daß er sich vor dem Hintereingang befindet und bekommt die auffordernde Antwort, er soll sich gleich Zutritt verschaffen. Er öffnet die Reisetasche und nimmt ein leichtes Maschinengewehr und einen Patronengürtel heraus. Er schultert das Gewehr, legt sich den Gürtel um die Taille und wirft die Tasche an einer niedrigen Stelle über den Zaun; wartet dann ein paar Minuten.
    Grünschnabel wünscht sich selbst viel Glück, nimmt leichtfüßig wie ein junges Dikdik Anlauf und erklettert den Zaun. Auf der anderen Seite kommt er mit einem leisen Plumps auf und bleibt ein paar Sekunden lang hocken, die Waffe im Anschlag, so wie er es in Filmen gesehen hat.
    Vor ihm erstreckt sich ein ungepflegter Garten, die niedrigen Sträucher struppig, die Bäume verkrüppelt und die Hauswand von Kletterpflanzen überwuchert. Schleichend bewegt er sich vorwärts, so geräuschlos wie die Leoparden in den Geschichten, die er gehört hat. Seine Lehrer an der madrasa wären sicher zufrieden mit ihm, überzeugt, daß ihn die kurze Ausbildung in einen Kadetten verwandelt hat, der bereit ist, im Dienste des Aufstands den Märtyrertod zu sterben. Für den Bruchteil einer Sekunde hält er erschrocken inne, als er irgendwo in der Nähe eine Bewegung wahrnimmt. Rasch und entschlossen birgt er die Tasche und steht unerschrocken hinter den niedrigen Sträuchern – es hat eben doch seine Vorteile, klein zu sein, denkt er. Nun liegt ein zweiter, nicht ganz so hoher Zaun vor ihm, den niemand erwähnt hat. Da sieht man mal wieder, sagt er zu sich, daß sogar die Informationssammler der Al-Schabaab Fehler machen. Trotzdem blickt er sich nicht um, dies ist der Weg, den ihm das Schicksal bestimmt hat. Außerdem hat ein Märtyrer keine Angst. Falls nötig, wird er die Waffe benutzen und töten.
    Er geht drei Schritte zurück, atmet schnell ein und aus, bis er ein Brennen in der Lunge spürt. Da die Männer den zweiten Zaun nicht erwähnt haben, haben sie vielleicht noch etwas anderes, noch Tückischeres übersehen; er muß auf alles gefaßt sein. Es sei denn, sie hätten den Zaun absichtlich nicht erwähnt, um sein Durchhaltevermögen auf die Probe zu stellen. Sein Aufpasser hat ihm eingeprägt, wie wichtig es ist, die Waffe nur zu benutzen, wenn es unumgänglich ist, und dabei unbedingt den Schalldämpfer zu verwenden.
    Nervosität macht sich in ihm breit. Er wirft die Reisetasche über den Zaun. Wartet ein paar Minuten, rennt los, springt darüber und rollt sich bei der Landung wie ein Ball zusammen – das hat er sich von den Videos auf einer Dschihadisten-Website abgeschaut. In einem der Videos ermunterten die Ausbilder die jungen Dschihadisten, die Skalps namhafter Zielobjekte als Trophäe an sich zu nehmen. Grünschnabel ist sich nicht sicher, ob er jemals den Kopf eines Mannes, den er getötet hat, behalten will. Tatsächlich besteht nicht einmal der Hauch einer Chance, daß er dieses Verlangen verspürt, und ohnehin hat er keinen Platz, an dem er einen Kopf verstecken könnte.
    Jetzt weicht die Realität zum zweiten Mal von den Informationen ab, die er erhalten hat: Eines der Fenster steht halb offen, aber es scheint nicht zu einem Badezimmer zu gehören, wie ihm gesagt wurde, sondern zu einer Küche.
    Er versteckt sich hinter einem riesigen Baum, dessen Stamm so dick wie der eines Baobabs ist. Er steht reglos da, wie der Teilnehmer eines Gottesdienstes, der darauf wartet, daß der Imam den rituellen Ablauf des Gebets fortsetzt. Wie ein Dschihadist, der einen Angriff auf den Feind anführt, konzentriert er sich auf jede seiner Bewegungen und ist rasch mit zwei Riesenschritten auf der hinteren Veranda.
    Er sucht die Umgebung nach Anzeichen ab, ob jemand zu Hause ist: das verräterische Vorhandensein eines Korbstuhls, den jemand nach draußen gebracht hat, um es sich darauf bequem zu machen, eine zusammengerollte Katze, die im Schlaf schnurrt, Kleidungsstücke, die auf der Wäscheleine trocknen.
    Er betritt das Haus durch das Küchenfenster, quetscht sich hindurch. Natürlich können einen Instruktionen nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten. Es gilt, während des Einsatzes ohne Hilfe
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