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Gekapert

Titel: Gekapert
Autoren: Nuruddin Farah
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der Nachbarschaft zu »weihen«, genauer gesagt, zu beschlagnahmen, um von dort aus gemeinsam mit seinen Mitstreitern gegnerische Ziele anzugreifen. Cambara zeigt nach Süden, schickt ihn in die falsche Richtung, weit weg vom nordöstlichen Teil der Stadt, in dem sie wohnt.
    Grünschnabel greift nach seiner Reisetasche und marschiert in die Richtung, die ihm die Frau gewiesen hat. Er verlagert die Last von einer Schulter auf die andere, atmet schwer durch die Nase und legt hin und wieder eine Pause ein. Er gibt sich stärker als er ist, versucht sich in beschwingtem Gang, aber es ist ganz offensichtlich, daß er Theater spielt; er schafft keine zwei Schritte, ohne ins Schwanken zu geraten. Das Gewicht der Tasche belastet ihn so, daß er sich nicht mehr an die Einzelheiten seiner Anweisung erinnern kann. Er kann sich zweifellos glücklich schätzen, daß er für diesen heiklen, geheimnisvollen Auftrag ausgewählt worden ist. Sein erster Einsatz. Er wird alles tun, um die Anführer der Zelle, deren vollwertiges Mitglied er jetzt ist, zu beeindrucken. Bei diesem Gedanken zieht ein Lächeln über sein Gesicht und für kurze Zeit wird sein Gang wieder dynamischer.
    Schon beim bloßen Gedanken daran, wie er die Reisetasche abgeholt hat, verliert er das Gleichgewicht. Man hatte ihn zu einem bärtigen Mann geschickt, dessen Kampfname Garweyne, Vollbart, lautet. Ihm gehört auf dem Bakaaraha-Markt, einem Zufluchtsort, in dessen labyrinthischen Windungen die Rebellen häufig ihre Angriffe planen, einer der größten Computerläden. Wer sich in diesem riesigen Markt nicht auskennt, den verwirren die vielen Sackgassen, die von Buden und Ständen gesäumt sind, deren Aufbau einen halben Tag dauert, ihr Abbau lediglich ein paar Stunden.
    In die Reisetasche hat Vollbart Minen, Granaten und andere Sprengkörper gepackt, Kleinwaffen, die, so vermutet Grünschnabel, dazu gedacht sind, im Fall eines äthiopischen Angriffs Löcher in Flugzeugrümpfe zu reißen. Tatsächlich hat Vollbart darüber kaum Worte verloren, und Grünschnabel weiß, daß es ihm nicht zusteht, Fragen zu stellen. Er darf seiner Neugier nicht nachgeben, jegliches Abweichen von seinen Anweisungen zöge eine schwere Strafe nach sich. Soviel ist ihm klar: Er bildet die Vorhut einer Kommandoeinheit, die den Boden vorbereitet, damit die Al-Schabaab sofort auf eine äthiopische Invasion Mogadischus reagieren kann. Normalerweise beschäftigt er sich mit Sprengstoffen, doch heute ist es seine Aufgabe, ein als sicher eingestuftes Haus zu »weihen«.
    Das Aufgebot, dem Grünschnabel angehört, besteht aus einem ausgewählten Kreis von Kämpfern, die dem Befehl zweier Männer unterstehen. Einer der beiden trägt den Kampfnamen Dableh, Fußknecht. Bei Ausbruch des Bürgerkriegs war er Befehlshaber über das größte Waffenlager des Landes, vom damaligen Diktator Barre höchstpersönlich zum Oberst ernannt. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges wechselte der Oberst die Seiten und gewährte dem Warlord StrongmanSouth uneingeschränkten Zugriff auf dieses Lager, versorgte dessen Clanmiliz mit Waffen und ermöglichte es ihr, das Staatsoberhaupt aus der Stadt zu jagen. Dableh hat sowohl den Bürgerkrieg als auch die Schicksalswirren seiner Herren überlebt. Nach StrongmanSouths Tod verlor Fußknecht keine Zeit, wechselte zur Union islamischer Gerichte und trug 2006 zu ihrem endgültigen Sieg über die Warlords bei. Seit ein paar Monaten verwendet er seine militärische Sachkenntnis auf die geplante Invasion Baidoas, dem Sitz der schwachen Übergangsregierung.
    Der zweite Mann in der Hierarchie trägt den Kampfnamen Al-Xaqq, Die Wahrheit, einen der neunundneunzig Namen Allahs. Als bescheidener Mann gibt Al-Xaqq seinem Namen ein weltlicheres Gewicht und zieht es vor, VerkünderDerWahrheit genannt zu werden. Er ist Sprengstoffexperte und ein hochrangiges Mitglied der Union, ein gelehrter Mann, der über große Erfahrung in Menschenführung verfügt. Er ist stolz auf seine beeindruckende Fähigkeit, potentielle Selbstmordattentäter zu erkennen. Die jungen Männer werden von ihm ausgebildet. Al-Xaqq schläft und ißt gemeinsam mit ihnen – um ihre Hingabe zu testen, unterwirft er sie manchmal harten Strafen oder unangenehmen Prüfungen – und zementiert so die Treue der jungen Männer vor ihrem Einsatz. Manchmal ist er der einzige, der die Einzelheiten eines Einsatzes kennt, stimmt diesen genau auf den von ihm handverlesenen Märtyrer ab. Als Grünschnabel vor ein paar Monaten den
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