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Geisterstunde

Geisterstunde

Titel: Geisterstunde
Autoren: Glen Cook
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mochte, hatte sie nur angelehnt. Ich faßte das als Einladung auf.
    Der Raum dahinter hatte ungefähr die Ausmaße einer Kathedrale. Er war so groß wie ein Exerzierplatz, vier Stockwerke hoch und seine Wände waren geziegelt. Ihre Farbnuancen reichten von Karamel über Rost bis hin zu Sahne. Die Wände waren mit Trophäen dekoriert, die vermutlich von den Stantnors in unzähligen Schlachten erbeutet worden waren. Mit den Waffen und Bannern, die hier vergammelten, hätte man ein ganzes Bataillon ausstatten können.
    Der Boden war ein Schachbrettmuster aus weißem Marmor und grünem Schiefer. In der Mitte stand eine Skulptur mit einem Springbrunnen. Ein Held auf einem sich aufbäumenden Hengst stieß einem wilden Drachen eine Lanze ins Herz. Das Vieh ähnelte verdächtig einer der größeren, fliegenden Donnerechsen. Beide, Biest und Held, sahen aus, als wären sie lieber woanders. Das konnte ich ihnen nicht verdenken, denn keiner von ihnen würde diese Sache lebend überstehen. Der Held rutschte im nächsten Moment vom Rücken des Gauls direkt der Bestie in die Klauen. Der Bildhauer hatte viel ausgedrückt, was zweifellos keiner kapierte. »Wenn ihr beiden euch wegen einer Jungfrau in die Haare geraten seid, solltet ihr euch lieber gütlich einigen«, riet ich ihnen. Leider vergeblich.
    Ich ging mit klackenden Absätzen auf den Brunnen zu. Die Wände warfen das Echo zurück. Dabei drehte ich mich ein paarmal um mich selbst und nahm den Anblick in mich auf. Von dem Raum führten Flure in die Flügel des Hauses, und Treppen schwangen sich zu Emporen vor jedem Stockwerk empor. Jede Menge blank polierter Säulen aus braunem Stein standen herum, und aus jeder Ecke erklangen Echos meiner Schritte. Das war kein Heim, eher ein Museum. Was ging bloß in dem Kopf eines Mannes vor, der so etwas hochzimmerte, um darin zu leben?
    In der Halle war es fast genauso kalt wie draußen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und ich nahm den Brunnen genauer in Augenschein. Er funktionierte nicht, sonst hätte wenigstens sein Gurgeln mir Gesellschaft geleistet. Schade eigentlich. Der Klang hätte der Atmosphäre bestimmt nicht geschadet. Vielleicht sprudelte er ja nur, wenn sie eine Gesellschaft gaben.
    Ich hatte schon immer eine Schwäche für Reichtum. Wie die meisten Menschen. Aber wenn man als reicher Mann so leben mußte wie hier, gab ich mich gern mit weniger zufrieden.
    Mein Job hat mich in viele herrschaftliche Hütten geführt, und alle strahlten in ihrem Innersten eine gewisse Kälte aus. Der angenehmste Palast, den ich kannte, gehörte Kain Kontamin, TunFaires ungekröntem Kaiser der Unterwelt, dem Oberboß der Gilde. Er ist ein grotesker, schlimmer Bösewicht, aber seine Bude täuscht wenigstens Leben und Wärme vor. Und sein Dekorateur weiß, was er will. Einmal erwarteten mich überall im Haus nackte Schönheiten. Das nenne ich Möblierung! Jedenfalls war das erheblich anheimelnder als diese Fuhre Kriegswerkzeug.
    Ich ließ meinen Beutel fallen, stellte meinen Fuß auf den Beckenrand des Springbrunnens und stützte den Ellbogen aufs Knie. »Macht nur weiter, Jungs. Laßt euch nicht von mir stören.« Held und Drachen waren viel zu beschäftigt, um mich zu bemerken.
    Ich sah mich um. Wo versteckten sich die Bewohner? Ein Palast wie der hier beschäftigte sicher ein ganzes Bataillon von Bediensteten. In manchen Museen war selbst um Mitternacht mehr los. Na ja …
    Doch es war noch nicht alles verloren. Im Gegenteil, die Lage verbesserte sich schlagartig.
    Ich erspähte ein Gesicht. Jemand betrachtete mich heimlich hinter einem Pfeiler auf der Empore links von mir. Das mußte der Westflügel sein. Das Gesicht gehörte einer Frau und war einfach hinreißend. Leider war es auch so weit weg, daß ich es nicht mehr genau erkennen konnte. Aber es brachte mein Blut wieder in Wallung. Die dazugehörige Frau benahm sich scheu wie eine Waldnymphe. Als sie meinem Blick begegnete, ging sie sofort in Deckung.
    Ich bin nur ein schwacher Mann und hoffte, daß ich mehr von ihr zu sehen bekam. Sie hatte ein bezauberndes Gesicht.
    Nymphchen floh in den nächsten Korridor. Ich sah ihre Figur nur kurz, was ich sehr bedauerte. Sie war einen zweiten Blick wert. Und vielleicht auch einen dritten und vierten. Es war eine schlanke, langhaarige Blondine mit einem weißen Kleid aus Gaze und einem roten Gürtel um die Taille. Sie war schätzungsweise um die zwanzig, sehr grazil und so bezaubernd, daß ich das breite, blöde Grinsen auf meinem Gesicht
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