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Geisterstunde

Geisterstunde

Titel: Geisterstunde
Autoren: Glen Cook
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anzulegen, der ich nur zu folgen brauchte.
    Die Bude hatte zwei Flügel mit jeweils vier Stockwerken. Das Haupthaus hatte fünf und war im Fachwerkstil erbaut. Es war so großzügig angelegt, daß ich es nicht schaffte, einen Stein vom Rand des Ost- zum Rand des Westflügels zu werfen. Ich versuchte es. Es war ein guter Wurf, aber viel zu kurz.
    Ein fetter Regentropfen klatschte mir in den Nacken. Ich sprintete die Dutzend Marmorstufen zum Hauptportal hinauf und wartete eine Minute, bis ich meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte. Ich wollte nicht zu beeindruckt wirken, wenn die Tür aufging. Bekommt man es mit Reichen zu tun, muß man erst einmal den einschüchternden Kohle-Faktor überwinden.
    Das Portal, das einem Schloß zur Zierde gereicht hätte – als Zugbrücke – schwang ohne das leiseste Geräusch nach innen. Etwa dreißig Zentimeter weit. Ein Mann steckte seinen Rüssel heraus. Ich sah nur sein Gesicht. Fast hätte ich ihn gefragt, wieviel Zentner Schmierfett sie jedes Jahr verbrauchten, um diese monströsen Türangeln zum Schweigen zu bringen.
    »Ja?«
    »Mike Sexton. Ich werde erwartet.«
    »Ja.« Das Gesicht zerknautschte. Woher bekam der Kerl um diese Jahreszeit bloß die Zitronen?
    Er mochte über meine Anwesenheit nicht erfreut sein, öffnete aber trotzdem das Tor und führte mich in eine Empfangshalle, in der man ohne weiteres zwei Mammuts hätte unterstellen können, wenn man nicht wollte, daß der Regen ihr wolliges Fell naß machte. »Ich melde Sie dem General, Sir.« Er marschierte, als hätte man ihm in der Grundausbildung einen Stock durch den Hintern ins Kreuz geschoben und bewegte sich zu Trommeln, die nur er hörte. Offenbar noch ein Ex-Marine, wie der Schwarze Peter.
    Es dauerte eine Weile. Ich vertrieb mir die Zeit damit, mich in der Eingangshalle mit den Vorfahren Stantnors bekannt zu machen. Ungefähr ein Dutzend von ihnen starrten finster aus ihren Rahmen an den Wänden auf mich herab. Anscheinend hatte man die Künstler nach ihren Fähigkeiten ausgewählt, das persönliche Elend ihrer Modelle darstellen zu können. Jeder der alten Knochen hatte offenbar unter Verstopfung gelitten.
    Ich schritt das Spalier aus drei Vollbärten, drei Schnurrbärten und sechs Glattrasierten ab. Das Stantnor-Blut war ziemlich dominant. Sie sahen aus wie Brüder, nicht wie verschiedene Generationen einer Linie, die bis in die Gründerzeit Karentas zurückreichte. Nur an ihren Uniformen konnte man die jeweilige Epoche erkennen.
    Sie trugen alle Uniform oder Harnisch. Alle Stantnors waren Berufssoldaten und Seeleute gewesen. Marines. Seit Ewigkeiten. Es war ein Geburtsrecht. Vielleicht auch eine Verpflichtung, die man sich nicht aussuchen konnte. Möglicherweise erklärte sich daher das Familienerbe Verdauungsstörung.
    Das letzte Porträt in der Reihe zeigte den General höchstpersönlich, in der Uniform eines Kommandanten des Corps. Er hatte einen mächtigen, beeindruckenden weißen Schnauzbart, und seine Augen blickten abwesend in die Ferne. Als stände er auf dem Achterdeck eines Truppentransporters und sehe auf etwas jenseits des Horizonts. Es war das einzige Porträt, dessen Blick dem Betrachter nicht überallhin folgte. Daß einem die sauertöpfischen alten Knacker immer hinterherstarrten, war ziemlich unangenehm. Die Porträts sollten Emporkömmlinge wie mich wohl einschüchtern.
    Dem General gegenüber hing ein Porträt eines jungen Mannes. Es war sein Sohn. Der war Lieutenant bei den Marines gewesen, und er hatte als einziger nicht den familientypischen finsteren Blick. Ich erinnerte mich nicht an seinen Namen. Er war auf den Inseln gefallen, während ich mich noch im aktiven Dienst befand. Und er war der einzige männliche Nachkomme des alten Griesgrams gewesen. Diese dunkel getäfelten Wände würden keine weiteren Porträts schmücken.
    Die Diele endete an einem bleigefaßten Fenster, das sich über die beiden Stockwerke der Halle erhob. Seine Scheiben bildeten ein Mosaik aus mythischen Szenen, die alle höchst blutrünstig ins Bild gesetzt worden waren: Helden, die Drachen niedermetzelten und Giganten abschlachteten, während sie in Erwartung eines neuerlichen Angriffs auf einem Berg von Elfenleichnamen thronten. Alles Zeugs aus der Antike, als die Menschen noch nicht mit den anderen Rassen klarkamen.
    Die Doppeltür in dieser Wand hatte normale Größe, aber auch sie war mit bemaltem Glas geschmückt. Offenbar aus derselben Schule. Der Butler, oder was auch immer der Kerl sein
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