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Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)

Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
Autoren: Rolf D. Sabel
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Prolog
     
    November des Jahres 355 n.Chr.

    Der Mond hat sich fast völlig hinter die schwarz aufgetürmten Wolken zurückgezogen, die Unheil kündend aus dem Osten nahen. Obwohl die Wasseruhr erst die neunte Stunde anzeigt, umgibt nachtgleiche Dunkelheit den abgelegenen Gutshof, der südwestlich vor den Toren der römischen Provinzstadt Colonia Claudia Ara Agrippinensium liegt.
    Die Felder ringsum liegen verlassen da, kein Sklave, der arbeitet oder die unruhigen Tiere in ihre Stallungen treibt, kein Verwalter, der sich mit wachem Blick um das Eigentum seines Herrn sorgt.
    Die ersten Regentropfen prasseln in unbarmherzigen Schauern nieder, als ein Reiter sich in eiligstem Galopp dem Gehöft nähert. Angst und Entsetzen scheinen den Hufschlag des schweißnassen Pferdes zu beflügeln, immer wieder blickt der Reiter wie von Teufeln gehetzt zurück.
    Endlich hat er den Gutshof erreicht. Atemlos springt der Mann vom Pferd, wirft den Zügel achtlos zu Boden und läuft ins Haupthaus. Die Dienerin, die gerade zur Küche will, sieht er nicht, stößt er rau beiseite. Das Klirren fallender Gläser und Karaffen dringt durch das ganze Haus.
    »Herr«, ruft er keuchend, als er das Atrium erreicht hat, »Herr, sie kommen!«
    Gnaeus Solvenius, der alte Gutsherr, blickt seinen Verwalter verständnislos an.
    »Fasse dich, Arax. Wer kommt, und warum bist du so außer Atem?«
    »Sieh nur, wie du den Fußboden verschmutzt hast«, ergänzt die Herrin des Hauses in strengem Ton. »Und Maximia hast du auch umgestoßen!«
    Aber Arax achtet nicht auf den Tadel, sein Gesicht ist von Furcht verzerrt.
    »Die Franken! Sie sind da. Und nicht nur Franken. Man hat auch Alemannen und Sachsen mit ihnen gesehen. Sie haben den Rhenus östlich der Stadt überquert und nähern sich unaufhaltsam. Es sind Tausende, bewaffnet bis an die Zähne. Den Hof des Orosius sollen sie schon in Brand gesteckt haben, niemand hat überlebt!«
    Klirrend fällt das Weinglas zu Boden, das Solvenia eben noch in der Hand gehalten hat.
    »Die Franken, gütiger Gott, steh uns bei«, haucht sie tonlos. Wächserne Blässe überzieht ihr ältliches Gesicht.
    Der Hausherr aber hat sofort begriffen.
    »So bald schon? Wir müssen sofort in die Stadt fliehen, hinter ihren starken Mauern werden wir Schutz finden. Arimius! Tullia! Maximia!«
    Sein Ruf gilt den Freigelassenen, die im Nebenzimmer erschrocken gelauscht haben.
    »Packt sofort das Nötigste zusammen, was wir für die Flucht brauchen. Und dann lasst die beiden Kutschen anspannen. Solvenia, nimm nur das Wichtigste mit, wir haben kaum noch Zeit.«
    »Aber mein Schmuck, meine Kleider, wie soll ich ...?«
    »Was nutzen dir Schmuck und Gewänder, wenn dir ein fränkischer Dolch die Kehle durchschneidet? Geh und tu, was ich sage!«
    Seine Stimme duldet keinen Widerspruch, und sofort erfüllt hektische Betriebsamkeit das Haus.
    »Arimius, du folgst mir!«
    Sein Befehl gilt einem würdigen Greis, der mit schreckgeweiteten Augen zugehört hat und nun eiligst die blaue Tunika über den klapperdürren Beinen zusammenrafft, um seinem ehemaligen Herrn zu folgen. Als Kind von zehn Jahren war er in das Haus des Solvenius gekommen, doch bald schon hatte er sich, wie die anderen, einer neu gewonnenen Freiheit erfreuen dürfen. Sechsundsiebzig Sommer hatte er erlebt und war darüber müde geworden.
    Seine wenigen Haare waren silbrig geworden, Arbeit und Mühe hatten seine Kräfte aufgezehrt und tiefe Züge in sein schmales Gesicht gegraben. Die Taufe des ganzen Hauses war wahrscheinlich das wichtigste Erlebnis in dieser Zeit gewesen. Mehr als dreißigJahre ist das schon her, und immer noch zaubert die Erinnerung an dieses Geheimnis Glanz auf seine ausgemergelten Züge.
    »Träum nicht, Alter!« Die Stimme des Herrn ist fest und doch freundlich, fast liebevoll.
    Eilig folgt der Alte seinem Herrn. Der Weg führt sie in die umfangreiche Bibliothek des Hausherrn. Hunderte von Schriftrollen ruhen in geordnetem Chaos auf den Regalen, viele mit bunten Bändern markiert, auf denen Titel und Autor stehen.
    Mit einer knappen Geste deutet Solvenius auf eine Reihe von Schriftrollen, die auf seinem Schreibtisch liegen.
    »Diese dort!« Sein Blick wandert weiter. »Nur diese acht mit den roten Bändchen, die nimm! Es sind mir die wichtigsten, Zeugnisse unseres Glaubens. Auf keinen Fall dürfen sie den heidnischen Franken in die Hände fallen. Wahrscheinlich würden sie sie für ihre Latrina benutzen. Nimm sie und stecke sie in die festen Lederrollen,
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