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Tote essen kein Fast Food

Tote essen kein Fast Food

Titel: Tote essen kein Fast Food
Autoren: Karin Baron
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„Vermisst wird seit gestern Abend, 22.00 Uhr, die siebzehnjährige Mia Sander aus Friedrichstadt. Mia Sander ist 1,71 Meter groß, hat schwarzgefärbte kurze Haare und ist bekleidet mit einer olivfarbenen Hose, schwarzem Kapuzenshirt sowie einem roten Tuch. Sie hat eine weiße Ratte bei sich, mit der sie zuletzt am Busbahnhof Friedrichstadt gesehen wurde. Mia ist möglicherweise verwirrt und benötigt dringend Medikamente. Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen sowie die Kriminalpolizei Hamburg, Tel. 040/...“
    Ich habe lange darüber nachgedacht. Ob ich es aufschreiben soll. Und wenn ja, wie. In der ersten Person Singular? Oder in der dritten? So, als sei die ganze Geschichte nicht mir passiert, sondern jemand anderem. Jemandem namens Kaja oder Leonie. Oder Jasmin. Ist sie aber nicht. Sie ist weder Kaja noch Leonie passiert. Und auch nicht Jasmin, sondern mir: Helena Stefanie Filius, genannt Fanny. Wohnhaft bei Heidrege, einem öden Kaff westlich von Hamburg, das selbst Google für einen Maulwurfshügel hält. Oder für einen Haufen Kuhscheiße, was der Sache deutlich näher kommt.
    Rechts ein Bauer, links ein Bauer, so muss man sich das vorstellen. Dazwischen plattes Land, viel Luft und etwas, das einem in dieser Einöde den Atem nimmt, sobald man ein Fenster öffnet: Gülleschwaden, die den Begriff „Luft“ deutlich relativieren und sich auf der Haut anfühlen, als sollte man die Dusche am besten nie mehr verlassen. Mit anderen Worten: Hier ist absolut tote Hose. Das Einzige, was so passiert, ist, dass mal eine Leiter umfällt. Oder eine Fliege in der zu weichen Nutella kleben bleibt, weil Martin vergessen hat, den Deckel wieder draufzuschrauben.
    An dem, was diesen Sommer geschah, ist auch Martin schuld. Zumindest, was mich betrifft. Denn ohne ihn hätte ich die Geschichte nicht so hautnah mitbekommen. Und womöglich wäre sie dann ganz anders ausgegangen. Schlimmer. Viel schlimmer. Wobei – etwas Gutes hatte es ja auch ...
    Aber der Reihe nach.
    Martin ist Archäologe und Experte für altägyptischen Schmuck. Bis vor Kurzem hat er sich meistens in irgendeinem Erdloch in der ägyptischen Wüste herumgetrieben, wo er die Lizenz zum Grabräubern hat. Im Nebenberuf ist Martin mein Vater und hat die Lizenz, mich zu erziehen. Aber davon hatte er nie wirklich Gebrauch gemacht, sondern den Job immer meiner Mutter überlassen, bis sie nach fünfzehn Jahren die Schnauze voll hatte vom Allein-Erziehen und vom Leben in der norddeutschen Provinz. Zwischen Weihnachten und Silvester ist Britta, also meine Mutter, abgehauen. Nach Berlin und mit Benno. Benno ist nicht unser Hund. Der heißt Jasper und ihn hat sie dagelassen. Benno ist ihr Lover.
    Er ist etwas mehr als halb so alt wie mein Vater und hat doppelt so viel Zeit für sie. Vor allem jetzt, wo er nicht mehr mein Fechtlehrer ist. So jedenfalls hat Britta ihre Landflucht begründet und mich gefragt, ob ich nicht mitkommen will nach Berlin. Immerhin ein Zeichen, dass sie nicht auch von mir die Schnauze voll hat. „In Berlin tobt der Bär“, hat sie gesagt. Aber ich hab keine Lust auf Berliner Bären. Schon gar nicht auf Benno-Bär, mit dem sie herumturtelt, als wäre sie nicht 42, sondern so alt wie ich. Es reicht, wenn ihre Hormone in Berlin Amok laufen. Mit meinen plage ich mich lieber hier herum. Da kriegt es wenigstens keiner mit. Ich bin gerade sechzehn geworden und jetzt nämlich eine Frau, wie Martin sagt. Immerhin hat er das inzwischen kapiert! Dabei hatte ich bis vor Kurzem den Eindruck, er kann eine Frau nicht von einer korinthischen Säule unterscheiden.
    Weil Mama das Weite gesucht hat, war er gezwungen, den Nahen Osten zu verlassen und nach Hause zu kommen in den hohen Norden, wie es in den Touri-Prospekten immer so schön heißt. In Ägypten buddeln sie jetzt ohne ihn weiter, während er eine Stelle als Leiter der Ägyptischen Abteilung im Hamburger Völkerkundemuseum ausgegraben hat. Irgendwer musste schließlich für mich da sein. Und zur Abwechslung ist jetzt Martin dran, sagt Mama.
    Nun fährt er jedenfalls jeden Morgen eine Stunde bis zu seinen Mumien und Tonscherben und nimmt mich in seinem schrottigen Jeep mit bis Blankenese, wo meine Schule steht und wo Oma wohnt. Umziehen Richtung Stadt will er nicht. Einöde ist er von der ägyptischen Wüste gewohnt, sagt er, und die Hektik der Stadt verträgt
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