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Geheimnisse einer Sommernacht

Geheimnisse einer Sommernacht

Titel: Geheimnisse einer Sommernacht
Autoren: Lisa Kleypas
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ihren Töchtern nach London gekommen sei, weil die beiden in New York keine standesgemäßen Heiratsangebote bekommen hätten. Seifenblasenerbinnen – oder manchmal auch Dollarprinzessinnen – nannte man sie spöttisch. Aber trotz ihrer hohen Wangenknochen und den schmalen, dunklen Augen würden sie auch hier ihr Glück nicht finden. Es sei denn, sie fanden einen adeligen Sponsor, der für sie bürgte und ihnen beibrachte, wie man sich in der feinen englischen Gesellschaft benahm.
    Die vier Mädchen – Annabelle, Miss Jenner und die Bowman-Schwestern – hatten in den letzten Monaten dieser schrecklichen Saison auf Bällen und Soireen immer zusammen in der Ecke oder an der Wand gesessen.
    Gelangweilt wartend hatten sie zugeschaut und selten miteinander ein Wort gewechselt. Annabeiles Blick fiel auf Lillian Bowman, deren samtig dunkle Augen unerwartet humorvoll strahlten.
    „Wenigstens die Stühle könnten etwas komfortabler sein, wenn es schon offensichtlich ist, dass wir den ganzen Abend hier sitzen werden“, murmelte Lillian.
    „Wir sollten unsere Namen eingravieren lassen. Nach all den Stunden, die ich auf diesem Stuhl zugebracht habe, gehört er mir ja wohl“, erwiderte Annabelle sarkastisch.
    Ein unterdrücktes Kichern kam von Evangeline Jenner. Sie strich sich eine rote Locke aus der Stirn. Ihre großen blauen Augen blitzten fröhlich, und ihre sommersprossigen Wangen färbten sich rosa. Ein aufkeimendes Gefühl von Solidarität schien sie vorübergehend ihre Scheu vergessen zu lassen. „Ich v…verstehe nicht, weshalb Sie ein Mauerblümchen sind“, wandte sie sich an Annabelle. „Sie sind das hübscheste Mädchen im Saal. Die Männer sollten sich sch…schlagen, um mit Ihnen tanzen zu dürfen.“
    Anmutig zog Annabelle eine Schulter etwas hoch. „Ein Mädchen ohne Mitgift will keiner heiraten.“ Nur im Fantasiereich der Romane vermählten sich Herzöge mit armen Mädchen. Im wirklichen Leben trugen Herzöge, Grafen und dergleichen die Last ungeheurer finanzieller Verpflichtungen. Sie hatten riesige Besitzungen, große Familien zu unterhalten und waren verantwortlich für ihre Pächter. Deshalb war eine Geldheirat für einen reichen genauso dringend vonnöten wie für einen armen Adligen.
    „Und ein neureiches Mädchen aus Amerika will auch niemand heiraten“, bekannte Lillian Bowman. „Unsere einzige Hoffnung dazuzugehören ist, einen Adligen mit einem soliden englischen Titel zu heiraten.“
    „Aber wir haben keine Sponsorin“, fügte Daisy, die jüngere Schwester, hinzu. Sie war die kleinere, zierlichere, fast feenhafte Ausgabe von Lillian, mit dem gleichen hellen Teint, vollem dunklen Haar und braunen Augen. Sie lächelte verschmitzt. „Wenn Sie zufällig eine nette Herzogin kennen, die uns gerne unter ihre Fittiche nähme, wären wir Ihnen sehr zu Dank verbunden.“
    „Ich will gar keinen Ehemann f…finden“, gestand Evangeline. „Ich s…sitze hier nur, weil ich nicht weiß, was ich s… sonst tun soll. Für die Sch…Schule bin ich zu alt und mein V…Vater …“ Sie seufzte und schwieg einen Moment, bevor sie weitersprach: „Noch eine Saison, dann bin ich dreiundzwanzig und eine richtige alte Jungfer. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich darauf freue.“
    „Dreiundzwanzig? Ist das neuerdings das Eintrittsalter in den Jungfernstand?“, fragte Annabelle leicht verunsichert.
    „Großer Gott“, stöhnte sie und verdrehte die Augen. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich schon so lange überfällig bin.“
    „Wie alt sind Sie denn“, fragte Lillian neugierig.
    Annabelle blickte vorsichtig nach links und nach rechts und versicherte sich, dass niemand zuhörte.
    „Fünfundzwanzig werde ich nächsten Monat.“
    Mit dieser Offenbarung erntete sie ziemlich kummervolle Blicke von ihren drei Leidensgenossinnen. Doch dann meinte Lillian sie trösten zu müssen: „Nein, nicht einen Tag älter als einundzwanzig sehen Sie aus.“
    Annabelle hielt ihr Tanzkartenetui fest in der behandschuhten Hand. Die Zeit vergeht wie im Fluge, dachte sie.
    Auch diese Saison, ihre vierte, war schon bald zu Ende. Eine fünfte Saison? Unmöglich. Sie machte sich doch nicht lächerlich. Aber sie musste einen Ehemann angeln – und zwar schnell. Sonst konnten sie es sich nicht mehr leisten, Jeremy weiter auf die Schule zu schicken …, waren möglicherweise gezwungen, aus ihrem bescheidenen Stadthaus in eine Mietwohnung zu ziehen. Und wenn einmal der Abstieg begann, dann gab es kein Zurück
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