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Geheimnisse einer Sommernacht

Geheimnisse einer Sommernacht

Titel: Geheimnisse einer Sommernacht
Autoren: Lisa Kleypas
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Vaters arbeitet“, widersprach Jeremy. „Ich habe nur gesagt, dass ich ihn dort kennengelernt habe. Mr. Hunt ist Unternehmer.“
    Annabelle sah ihren Bruder erschrocken an. „Ein Spekulant?“ In einer Gesellschaft, in der es als vulgär galt, an wirtschaftliche Belange zu denken, geschweige denn, darüber zu sprechen, stand niemand tiefer auf der gesellschaftlichen Leiter als einer, der eine Karriere mit Investitionen machte.
    „Ein bisschen mehr ist er schon“, sagte ihr Bruder. „Doch da er aus der arbeitenden Klasse kommt, spielt es vermutlich ja sowieso keine Rolle, was er macht oder was er aufgebaut hat.“
    Annabelle sah ihren Bruder argwöhnisch an. „Du klingst wie ein kleiner Demokrat, Jeremy“, stellte sie fest. „Ganz bestimmt bin ich nicht hochmütig. Wenn ein Herzog versuchen würde, uns das Geld für die Eintrittskarten zu geben, würde ich mich genauso ablehnend verhalten wie bei einem Mann, der einen Beruf ausübt.“
    „Nun – vielleicht nicht ganz so“, antwortete Jeremy und lachte, als er ihre Reaktion sah.
    Simon Hunts Rückkehr hinderte die beiden daran, sich weiter zu streiten. Er beobachtete sie mit wachen, kaffeebraunen Augen. „Alles erledigt“, sagte er lächelnd. „Können wir nun hineingehen?“
    Jeremy gab seiner Schwester einen diskreten Schubs und Annabelle bewegte sich zögerlich von der Stelle. „Fühlen Sie sich bitte nicht verpflichtet, uns zu begleiten, Mr. Hunt“, sagte sie, obwohl sie genau wusste, wie unhöflich sie war. Aber dieser Mann machte sie nervös. Sie glaubte, ihm nicht trauen zu können … Nein, trotz des eleganten Anzuges, trotz des vornehmen Äußeren machte er keinen distinguierten Eindruck. Er gehörte nicht zu der Sorte Mann, mit der eine wohlerzogene junge Dame allein sein wollte. Diese Erkenntnis hatte nichts mit seiner sozialen Stellung zu tun, vielmehr beruhte sie auf dem warnenden Gefühl, das seine kraftvolle Körperlichkeit und sein willensstarkes männliches Temperament bei ihr auslösten. „Sicherlich möchten Sie doch mit ihren Freunden Zusammensein“, fügte sie nach einer Weile hinzu.
    „In diesem Gedränge werde ich sie sowieso nicht mehr finden“, kommentierte er ihre Bemerkung mit einem leichten Schulterzucken.
    Natürlich hätte sie erwidern können, dass er aufgrund seiner Größe seine Freunde bestimmt ohne Schwierigkeiten in der Menge hätte ausmachen können, aber sie wusste, dass jede weitere Diskussion über dieses Thema mit ihm zwecklos sein würde. Es blieb ihr keine Wahl, sie musste sich die Panoramaschau an der Seite von Simon Hunt ansehen. Sobald sie jedoch Jeremys Begeisterung bemerkte, legte sich ihr Argwohn ein wenig. „Vergeben Sie mir“, entschuldigte sie sich leise. „Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich mag es nur nicht, wenn ich Fremden etwas schulde.“
    Der aufmerksam prüfende Blick, mit dem Hunt sie bedachte, war zwar kurz, aber deshalb nicht weniger irritierend.
    „Eine Ansicht, die ich gut verstehen kann“, sagte er, während er sie durch die Menge führte. „In diesem Fall ist es allerdings keine richtige Schuld. Genau genommen sind wir ja auch nicht einmal Fremde. Ihre Familie hat doch seit Jahren das Geschäft meiner Eltern unterstützt.“
    Sie betraten das riesige Theater und stiegen über eine Treppe auf eine runde Aussichtsplattform, um die ein Eisengitter lief, damit die Zuschauer nicht herunterfallen konnten. In einem Abstand von ungefähr zehn Metern hing rund um die Aussichtsbühne ein detailgetreues Bild einer altertümlichen römischen Landschaft. In dem Zwischenraum zwischen Gemälde und Bühne war eine komplizierte Maschinerie aufgebaut, die aufgeregte Kommentare der Besucher auslöste. Sobald die Plattform mit Zuschauern gefüllt war, ging ganz langsam das Licht aus – ein Vorgang, der im Zuschauerraum bereits Begeisterung und erwartungsvolles Seufzen auslöste. Leise surrten die Maschinen. Staunend sah Annabelle, wie ein blaues Licht, das hinter der Leinwand aufleuchtete, der Landschaft Tiefe und einen Anschein von Realität verlieh. Fast konnte sie sich der Illusion hingeben, zur Mittagszeit in Rom zu stehen. Dann erschienen einige Schauspieler, zeitgemäß in Toga und Sandalen gekleidet, und ein Erzähler begann mit der Geschichte des alten Roms.
    Das Diorama war fesselnder, als Annabelle es sich vorgestellt hatte. Dennoch gelang es ihr nicht, sich dem Spektakel völlig hinzugeben – der Mann, der neben ihr stand, war ihr ständig gegenwärtig. Immer wieder beugte er
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